Neinneinneinneinneinnein!!!

■ „Angeklagt“: In dem Film von Jonathan Kaplan wird eine Frau (Jodie Forster) von drei Männern auf einem Flipperautomaten vergewaltigt, andere Männer stehen johlend dabei

Eine Straße, eine klotzige Betonbrücke und eine beliebige Kaschemme, irgendwo in Amerika. Eine junge Frau rennt schreiend den Straßenrand entlang, ihre Kleidung ist zerrissen, sie ist barfuß. Erst das dritte oder vierte Fahrzeug hält und nimmt sie mit. Nebenan in einer Telephonzelle ruft ein Mann die Polizei um Hilfe, eine Vergewaltigung hat stattgefunden, er ist außer sich vor Aufregung.

Eine Klinik. Kachelwände, Neonlicht und Arztkittel. „Welche Verhütungsmittel benutzen Sie normalerweise?“ „Wann hatten Sie den letzten Geschlechtsverkehr?“ „Legen Sie sich dorthin, spreizen Sie die Beine“. „Nun waschen Sie sich“.

Routineabläufe eines eingespielten Apparates bei Vergewaltigungen. Auf das Opfer wird nicht viel Rücksicht genommen. Verhaltene Stimmen, behutsame Berührungen und der Beistand ausschließlich weiblicher Dienstleister sind die einzigen Zugeständnisse an eine Frau, die soeben den schlimmsten Schock ihres Lebens hinnehmen mußte. Doch nach der medizinischen Erstversorgung beginnen die Mühlen des Behördenlaufwerkes zu mahlen, die Räder der Justiz rollen voran. Sofortige Verbringung an den Tatort, schließlich gilt es, die Täter zu identifizieren. Mittlerweile sind wieder Männer in die Ermittlungen einbezogen, die Rücksichtnahme auf die entsetzte Frau war nicht von Dauer. Ein ganz normaler Vorgang in den USA, denn alle sechs Minuten wird in den USA ein Vergewaltigungsverbrechen angezeigt. Das Eingangsszenario zu Jonathan Kaplans Angeklagt weist alle Merkmale einer solchen menschlichen Katastrophe auf. Das Nachher erweist sich als genauso erniedrigend für die Betroffenen,

wie die Tat selbst. „Ich will, daß diese Scheißkerle für immer verknackt werden“, fordert Sarah (Jodie Foster) nach dem entsetzlichen Erlebnis und wirkt dabei äußerlich schon wieder gefaßt. Kein Schnipp, schnapp, Pimmel ab, keine feministischen Forderungen, aus ihr spricht die ohnmächtige Wut. Kaplan hat einen sehr konventionellen Film über ein Thema gedreht, das Emotionen aufwühlt. Mit unspektakulären Bildern geht The Accused der Frage nach, wie es zu diesem Unheil kommen konnte, und so ist es gerade die scheinheilige Normalität, die nachwirkt.

Katheryn Murphy (Kelly McGillis), die Staatsanwältin, kann nicht verhindern, daß die Täter auf Kaution wieder die Freiheit erlangen, es waren drei Männer. Sie arrangiert sich sogar mit den gegnerischen Anwälten, die Anklage auf schwere Körperverletzung herunterzuschrauben, ohne Anhörung der gequälten Frau. Ein ganz normaler Deal der Justiz, das passiert jeden Tag. Allmählich, ganz langsam kommt ihr zu Bewußtsein, was sich da im Hinterraum der Kneipe wirklich abgespielt hat.

Unter dem Jubel und der Anfeuerung einer Horde anderer Männer wurde Sarah dreimal auf einem Flipperautomaten vergewaltigt. Sie tat vorher, was alle Männer in Kneipen tun, sie trank Bier, sie unterhielt sich und nahm eine Getränkeeinladung an. Sie flipperte, tanzte nach der Musicbox und amüsierte sich. Sie tat nur eines nicht: Sie griff keinem der Männer in die Hose. Genau das taten diese mit ihr. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie sie ein sexuelles Verlangen der Frau voraussetzten und ihr Einverständnis zu Gewalt implizierten. Genau hier liegt der Verdienst von Angeklagt. Kaplan re

duziert das Verbrechen nicht auf die Tat allein, er schließt die Jasager, die Aufwiegler und Anstifter zur Gewalt gegen die Frau mit ein. So ungläubig diese auch den Vorwürfen begegnen, so infam unterstellen seine Anwälte Sarah eine Mitschuld. Die Konsequenz ihres Tuns brachte das ausverkaufte Filmtheater in Wallung.

„Die Angeklagten mögen sich erheben und die Geschworenen ansehen. SCHULDIG.“ Im Dunkel des Kinos klatschen viele Hände Beifall.

Jürgen Francke

City 1, 15.45, 18.15, 20.45 Uhr