„Faule Kompromisse in einer historischen Situation“

■ Alternative Liste stellte Verhandlungsergebnisse zu den Bereichen Justiz, Inneres, Polizei und Verfassungsschutz vor

„Ich bin auch für faule Kompromisse“, brachte ein Zuhörer auf den Punkt, was viele auf einer Veranstaltung der AL von Teilen des Verhandlungspapiers hielten. Die Situation, so die Begründung, sei nämlich eine historische. Es ging darum, was die AL bei ihren Verhandlungen mit der SPD zu den Themen Polizei, Verfassungsschutz, Justiz und Datenschutz durchgesetzt bzw. gerade nicht durchgesetzt hatte.

Dicht gedrängt versuchten etwa 200 Interessierte am Montag abend der AL-Abgeordneten Lena Schraut und dem AL -Vorstandsmitglied und Verhandler Christian Ströbele in einem engen Klassenraum im Mehringhof zu lauschen. Aufmerksam hörten auch mindestens vier Polizeibeamte von den „Sozialdemokraten in der Polizei“ bzw. Den „Kritischen Polizisten“ zu.

Bei der Polizei haben wir so gut wie nichts erreicht“, außer vielleicht „ein paar leichte grüne Einsprengsel“, gab Christian Ströbele zu. Hauptsächlich sei aufgeschrieben worden, zitierte er aus dem Verhandlungspapier, daß „die Polizei... auch in schwierigen Situationen die Bürger besonnen, diszipliniert und ohne Übergriffe zu schützen“ habe. Immerhin habe man unter den Spiegelstrichen die Kasernierung der Polizei und die Auflösung der Sondereinheiten einfügen können.

Spätestens als der AL-Verhandler vorlas, daß andere Institutionen Polizeiaufgaben wahrnehmen sollen, gab es Unmutsbekundungen aus dem Publikum. „Habt ihr schon mal Sozialarbeiter erlebt?“ fragte ein Zwischenrufer.

Daß weder eine Reduzierung der Polizeidichte, noch die Abschaffung der freiwilligen Polizeireserve und nicht einmal die Kennzeichnung der Polizei im zukünftigen Regierungsprogramm steht, begründete Ströbele mit den Einwänden der unsichtbaren Verhandlungspartner Alliierte. Auch für das wenige, was man beim Verfassungsschutz habe durchsetzen können, machte der ALer die Alliierten verantwortlich.

Von unserer Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes ist nichts übriggeblieben“, bekannte Ströbele.

Die Trostpflaster: - „Wir müssen ja hier öffentlich sagen, was wir trotzdem erreicht haben“ - ein parlamentarischer Sicherheitsausschuß zur Überprüfung des Verfassungsschutzes, wie es ihn schon einmal gab, bevor die AL ins Parlament einzog; Sicherheitsüberprüfungen sollen grundsätzlich nur noch der einstellenden Dienstbehörde obliegen, die nicht mehr beim Verfassungsschutz nachfragen kann, zu Unrecht gesammelte Daten müßten offengelegt und gelöscht werden.

Diese Ergebnisse wären „überhaupt kein Grund, mit den Sozialdemokraten zusammenarbeiten“, sagte Ströbele, aber es gelte eben, abzuwägen. Ganz ausgezeichnet sei das Ausländerprogramm, und auch das Justizprogramm könne sich sehen lassen: offener Vollzug als Normalvollzug, Umwidmung des Hochsicherheitstrakts, Auflösung der Sicherheitsabteilungen inclusive einer Nichtweiterbeschäftigung des in Knastkreisen berüchtigten Leiters Astrat, Abschaffung der politischen Abteilung bei der Staatsanwaltschaft, der Abteilung Ausländer (AGA), medizinische Versorgung in normalen Krankenhäusern und eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung des § 129a (Unterstützung einer kriminellen Vereinigung). Die Bußgelderbescheide von Volkszählungsgegnern sollen nicht mehr vollstreckt werden bei „Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten“.

Die Anwesenden fanden zwar mehrheitlich, die AL habe sich fast überall „über den Tisch ziehen lassen“, die Reaktionen waren aber trotzdem erstaunlich moderat bis verständnisvoll.

Dieter Kunzelmann fand wenig von AL-Forderungen in dem Papier wieder. „Es gibt einen sozialdemokratischen Reformvollzug“, bewertete er die Ergebnisse, und von Demokratisierung der Polizei sei wenig zu merken. Wenn sich hier nichts bewege, „ist es bedenklich, ob man dem Gesamtpaket überhaupt zustimmen kann!“ befand er erbost.

Es ist doch ein Armutszeugnis, wenn bei dieser „Jahrhundertgelegenheit nicht einmal die Kennzeichnung der Polizei durchgesetzt wurde, wenn selbst die FDP und der 'Tagesspiegel‘ dafür sind“, ärgerte sich ein anderer Diskussionsteilnehmer. „Aber wir können doch die Koalition nicht platzen lassen, weil wir die Kennzeichnung nicht durchkriegen!“ erklärte darauf Lena Schraut das Dilemma der Verhandlungsvertreter.

Versuche einer Juristin, darauf hinzuweisen, was auf anderen Gebieten schließlich erreicht worden sei, wurden ungnädig kommentiert. „Das kann man doch nicht gegeneinander aufrechnen!“ schallte es ihr entgegen. Auf die Frage, ob sich die AL denn mal überlegt habe, „eine Amnestie durchzuführen? Die DDR macht das doch auch!“ hatte Christian Ströbele immerhin einen Terminvorschlag: Als Datum habe er an den 40. Jahrestag des Grundgesetzes gedacht. Aber auch hier fügte der rhetorisch gewiefte AL-Oberhändler schnell die übliche Einschränkung ein. „Auch das kann man in Berlin nicht alleine machen.“

RiHe