CDU-Dossier: Wenig Speichel fürs Gegeifer

■ Rudolf Seiters, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, legte eine dürftige „Dokumentation“ mit dem erschröcklichen Inhalt „rot-grüne Monstershow“ vor

Was wäre eine Kampagne ohne ein Dossier. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU -Bundestagsfraktion, Rudolf Seiters, legte eine „Dokumentation“ mit dem Titel „SPD: Verrat am Wähler“ vor. Die 'Welt‘ vom Dienstag nahm schon einmal Bezug. Nimmt man diese „Dokumentation“ als Partitur für die Anti-Rot-Grün -Kampagne, dann kann man sagen, keine neue Noten, nur die Lautstärke dieser Kakophonie nimmt zu. Mompers Anti-AL -Sprüche vor der Wahl werden zitiert. Gewiß hat Momper vor der Wahl einiges Porzellan zerschlagen, aber jetzt stellt sich eben heraus, daß es altes Geschirr für den Polterabend der Vernunftehe war. O-Ton: „Es besteht die Möglichkeit, daß ein wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung Vorbestrafter Senator für Inneres oder Justiz wird, daß ein Hausbesetzer Senator für Wohnungswesen und daß ein Aktivist gegen die Volkszählung Senator für Wirtschaft und Arbeit wird. Ernst Reuter, Otto Suhr und Luise Schröder als Koalitionspartner der AL - unvorstellbar!“ - Richtig! Aber ebenso unvorstellbar ist die gute alte Frontstadtzeit, das 68er Berlin, wo die Berliner noch glaubten, im vietnamesischen Dschungel wird die Freiheit Berlins verteidigt. Aber Ungleichzeitigkeit als Kampagnemotor - kaum ausreichend.

Wendung zum SPD-Partner AL: erst das Programm, dann das Dossier. Über den Denunziationswert der Zitate kann man streiten. Was die Zitaten-Collage immerhin zeigt, ist, daß die AL-Utopien ziemlich fugenlos, allerdings komplimentär ins reaktionäre Alptraum-Vokabular passen.

Aber dann das Dossier: „Sage mir, mit wem Du umgehst...“ Hauptvorwurf: „Kommunistischer Bodensatz“, d.h. Hinweis auf die Herkunft aus den K-Gruppen. Anschließend folgen die Dossiers. Hier zeigt sich beim ersten Überblick, daß die Verfassungsschutzquellen offenbar nicht mehr so recht sprudeln. Es ist Ausschnitt-Arbeit, und zwar schlechte: Bernd Köppl ist noch ledig. Christian Ströbele wird zum „unbestrittenen Wortführer“ erhoben. Dann kommen die Vorwürfe gegen seine Verteidigerrolle in RAF-Prozessen. Bei der Abgeordneten Heidi Bischoff-Pflanz wird unterstrichen, daß sie in der internen Kandidatenvorstellung schrieb: „ich wurde als Gewerkschaftsschädling entfernt.“ Dagmar Birkelbach wird vorgeworfen, sie sei Mitglied im Kommunistischen Bund, laut 'Berliner Morgenpost‘. Dazu wird der Verfassungsschutzbericht von 1977 zitiert: „Er (der KB) behauptet erneut, in der Bundesrepublik wachse die Tendenz zur Faschisierung zusehends.“ Sabine Weißler wird vorgehalten, für das Projekt „Kuckuck“ geworben zu haben. Das trifft die halbe Kunstszene der Stadt! Benedikt Härlin und Michael Klöckner werden als die gefürchteten presserechtlich Verantwortlichen für 'radikal‘ entlarvt. Christiane Zieger gilt als Agentenführerin für die Gruppe „Z“. Von Irma Kohlhepp wird das autobiographische Zitat „ich war eine Apo-Oma“ aufgedeckt. Der ganze schöne, bunte Lebenslauf von Dieter Kunzelmann, der nun endlich einmal Gegenstand eines großen humoristischen Romans der Linken werden müßte - vom Anspruch eines Don Quichote - wird überaus dürftig referiert. Zu seiner KPD-Periode wird der 'Stern‘ zitiert: „Und nachdem er endlich Mitglied geworden war, löste sich die Partei auf.“ Kunzelmann also die gegenwärtig größte Gefahr für die AL. Interessanterweise wird sein Prozeß vom Anfang Mai 1987 „wegen Verunglimpfung des Staates“ zitiert. Verunglimpfung? Er hatte die Diepgen -Regierung „kriminelle Vereinigung“ genannt und war freigesprochen worden. Von Michael Haberkorn wird der Lebenslauf zitiert: „Anfangs Semestersprecher, dann verliebt, dann KBW-Schulung, dann Prüfung.“ In der Tat ein wirkliches Problem, wie Verliebtheit ind KBW-Schulung münden kann. Erwähnt wird nicht, daß seine Mutter eine Tiergartener CDU-Bezirksverordnete ist. Also, wenn schon Dossier, dann richtig Dossier! Es reicht nicht, der Verfassungsschutz steht nur noch ein paar Tage zur Verfügung. Eile ist geboten! Aber es reicht zu jeder Form menschlicher Niedrigkeit. Das schweinische Denken, das macht Angst! Beispiel: gegen Hilde Schramm unterstehen sich die Verfasser, folgendes zu schreiben - „Sie betreibt als Tochter von Hitlers Rüstungsminister Speer in der AL familiäre Vergangenheitsbewältigung.“ Man kann warten, welche Zeitung das aufnimmt.

Klaus Hartung