Vom linken Projekt zur Hauspostille der Guerilla

Luis Arce Borja, Direktor der peruanischen Tageszeitung 'El Diario‘, wirbt in der Bundesrepublik und Berlin für sein Projekt, das er gerne mit der taz vergleicht / Die wegen massiver Bedrohung durch Polizei und Militär augenblicklich nicht erscheinende Zeitung blickt auf eine schillernde zehnjährige Geschichte zurück  ■  Aus Lima K.Koala

1975 ist ein ereignisreiches Jahr in Peru. Der erste Abschnitt der mittlerweile historischen „Revolution der Generäle“ neigt sich dem Ende zu. Der nationalistisch -populistische Militärdiktator Juan Velasco Alvarado verteidigt mit antikommunistischen Parolen nach Kräften sein Projekt der sozialen Revolution. Kurz vor seinem Sturz durch konservative Militärs im August 1975 erscheint in einer Atmosphäre des Mißtrauens und der unverhüllten Drohungen 'Marka‘. Herausgegeben von einer Gruppe linker Journalisten, Intellektueller und Parteiaktivisten, entpuppt sich das Blatt schnell als schlagkräftige Antwort auf die herrschende Politik der Militärs. Zum ersten Mal verfügt die wachsende linke Bewegung Perus über ein Sprachrohr, in dem auf breiter Basis die politischen und sozialen Visionen der Opposition diskutiert werden. Die Antwort der Staatsgewalt läßt nicht lange auf sich warten: Die Zeitung wird von der neuen Regierung des Generals Morales Bermudez verboten, unter anderem wegen ihrer scharfen Angriffe gegen die Pinochet -Diktatur in Chile. Die führenden Mitarbeiter siehen sich kurzerhand ins Ausland deportiert.

Vielversprechende Anfänge

Im Kreis der Zwangsexilierten entsteht das Projekt einer linken Tageszeitung, ein Plan, der mit dem der taz -SchöpferInnen 1979 verwandt ist. Der Plan, das Informationsmonopol der sieben großen peruanischen Zeitungsfamilien zu brechen und der Basisbewegung ein Forum zu geben, ist spektakulär. Das erste Exemplar des 'Diario de Marka‘ erscheint im Mai 1980 im Aufwind der ersten demokratischen Wahlen seit 1963. Die Redaktion stellte eine enge Verbindung der Stadtteilbewegung mit den Gewerkschaften und den Parteien der Linken her. Die Berichterstattung über die erfolgreichen Generalstreiks als Antwort auf die Zangsmaßnahmen des IWF war ein entscheidender Faktor für das Entstehen des linken Parteibündnisses IU (Izquierda Unida), dem für die Präsidentschaftswahlen 1990 gute Chancen für einen Wahlsieg prognostiziert werden.

Die Sonntagsbeilage des 'Diario‘, „Caballo Rojo“, erreicht internationale Beachtung. Texte von Gramsci oder den Nationaldichtern Cesar Vallejos und Jose Maria Arguedas konnten dort jede Woche gelesen werden. Die Auflage erreichte schnell eine Zahl von 60.000 Exemplaren und machte das 'Diario‘ zur zweitstärksten Zeitung des Landes.

Krise

und Flügelkämpfe

Die Aufteilung der Eigentumsanteile zu je einem Drittel an Redaktionskollegium, Betriebsgewerkschaft und die zeitweise hoffnungslos zerstrittenen Parteien der Linken provozierte eine langandauernde Krise des Blatts, die 1984 im völligen Zusammenbruch endete. Querelen um die individuelle Selbstdarstellung der Parteien stellten das Projekt 1982 zum ersten Mal ernsthaft in Frage. „Redaktionelle Arbeit war zu diesem Zeitpunkt kaum noch möglich, wir hetzten von einer Betriebsversammlung zur anderen“, so der damalige Direktor Jose Maria Salcedo. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen führten außerdem zu fragwürdiger Sensationsberichterstattung. Es folgte ein Exodus der bekanntesten Journalisten. „Die Journalisten der zweiten Kategorie und die Angestellten hielten die Zeitung als Mittel zum Erhalt ihres Arbeitsplatzes am Leben, unter ihnen der heutige Leiter der Zeitung Arce Borja“, erklärt einer der früheren Chefredakteure, Carlos Urrutia.

Mit dem Verlust der nationalen Vertriebsorganisation und der eigenen Druckerei beginnt das 'Diario‘, sich von der Volksfront und den Basisbewegungen zu lösen.

Nach seiner Neueröffnung 1985 hat sich die Szene völlig verwandelt: Seit Mai 1980 operiert die Guerilla-Gruppe „PC Sendero Luminoso“ im Hochlandgebiet um Ayacucho, später erstrecken sich ihre Aktionen auf weite Gebiete des Landes, die ohne Verzug unter militärisches Ausnahmerecht gestellt werden. Ein „schmutziger Krieg“ nach argentinischem Vorbild hat begonnen. Die isolierte Redaktion fällt wie eine reife Frucht in die Hände von „Sendero Luminoso“.

Unter der Leitung von Luis Arce Borja, einem ehemaligen Funktionär der Foschergewerkschaft Perus, beginnt das 'Diario‘ mit einer Rechtfertigungskampagne für die Aktionen von „Sendero“. Die Auflage erreicht zu dieser Zeit kaum 7.000 Exemplare. „Es ist offensichtlich, daß das 'Diario‘ von heute eine Zeitung ist, die von einer einzelnen Partei subventioniert und am Leben erhalten wird, es sei denn, spektakuläre Informationen über den schmutzigen Krieg der Militärs sorgen für höhere Auflagen. Der miserable Stil und die offenen Lügen können das 'Diario‘ nicht tragen“, so Carlos Urrutia.

Kniefall vor

„Sendero Luminoso“

Die Berichterstattung des 'Diario‘ präsentiert die Sendero -Guerilla als „Erleuchtung“ für das nationale Proletariat und die mystifizierte Figur des Parteigründers als vierte authentische Inkarnation nach Marx, Lenin und Mao.

Zweifellos werden im 'Diario‘ Informationen aus erster Hand publiziert, die Massaker der Militärs oder das „Verschwindenlassen“ von Personen in den Gebieten des Ausnahmezustands betreffen. Gleichzeitig rechtfertigt die Zeitung jedoch die gängige Praxis von „Sendero Luminoso“, lokale Vertreter der Bauerngewerkschaft und der linken Bewegung zu ermorden, als „schmerzlose Strafaktionen“. Kein kritisches Wort wird zu der Verbindung der Guerilla zur örtlichen Drogenmafia veröffentlicht. Schließlich nimmt die Zeitung in keiner Weise Stellung zu der erklärten Taktik „Senderos“, ganze Dorfgemeinschaften den Militärs auszuliefern oder selbst durch Strafexpeditionen Campesino -Gemeinschaften auszurotten. Jüngstes Beispiel dieses Vorgehens ist das Massaker an 39 Bewohnern des Dorfs Canaire am 27.Februar dieses Jahres.

In den Augen des 'Diario‘ vollzieht Nicaragua in seinen Verhandlungen mit der Contra den Kniefall vor dem US -Imperialismus und Kuba ist nichts weiter als die Puppe des russischen Sozialimperialismus. Empörung löste bei der Linken die Feststellung des 'Diario‘ aus, der bekannteste linke Schriftsteller Perus, Jose Maria Arguedas, sei „ein kleiner folkloristischer Epigone Adolf Hitlers“. „Das einzige echte journalistische Tor schoß das 'Diario‘ unter der Ägide von 'Sendero‘ mit dem 48seitigen Interview des ideologischen Chefs der Partei, Abimael Guzman Reynoso alias Camarada Gonzalo. Zum ersten Mal ergriff der mythische Führer der Bewegung in den dürren Begriffen der marxistisch -leninistischen Terminologie das Wort zur Linie der Partei und zur Taktik der Guerilla“, meint der ehemalige Mitarbeiter des 'Diario‘ Carlos Ivan Degregori.

Abschließend bemerkt Carlos Urrutia: „Ich befürchte, daß die peruanische Wirklichkeit im Ausland verzerrt gesehen wird. 'Sendero‘ erscheint als die revolutionäre Option. Ich glaube aber, daß die wirkliche Revolution durch die Volksorganisationen und deren Basen gemacht werden muß. Gewählte Vertreter der Basisbewegung sind von 'Sendero‘ getötet worden. Prinzipiell bin ich für ein weiteres Erscheinen des 'Diario‘. Es ist wichtig, die Positionen 'Senderos‘ zu kennen. Meine Forderung an die Zeitung ist jedoch seriöser, kritischer Journalismus und eine echte Auseinandersetzung mit konträren Meinungen.“