Ölboom - Fluch der Ölexportländer?

■ Neue Studie der Weltbank stellt fest, daß der Lebensstandard der ölexportierenden Länder der Dritten Welt nach dem letzten Preisschock vor zehn Jahren höher war als heute / Nur Indonesien konnte die Öleinnahmen zum Ausbau des Agrarsektors nutzen

Washington (ap) - Nach den blutigen Unruhen in Venezuela stellt sich für die Ölexportländer der Dritten Welt mit neuer Dringlichkeit die Frage: Was haben die Ölmilliarden eigentlich gebracht? Eine neue in Washington veröffentlichte Studie der Weltbank kam zu dem Schluß, daß den Entwicklungsländern der Geldsegen buchstäblich unter den Händen zerrann.

Venezuela und die anderen zwölf Mitglieder der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) erschienen zumindest vorübergehend als eindeutiger Nutznießer der Ölkrisen von 1973 und 1979. Die Verknappung des für die Industriestaaten lebenswichtigen Rohstoffs mit einer Preissteigerung von weniger als zwei Dollar je Barrel (159 Liter) auf fast 40 Dollar ließ hingegen die Öleinfuhrstaaten vorübergehend in die Rezession taumeln.

Ein Jahrzehnt nach dem von der Revolution in Iran ausgelösten letzten Ölpreisschock untersuchen Wirtschaftsexperten und Politikwissenschaftler immer noch, was mit den Petrodollarströmen geschehen ist, die in die Kassen der Exportländer flossen. Die gleiche Frage stellen in weniger akademischer Weise auch die Bewohner der Elendsviertel in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Ihre schier ausweglose wirtschaftliche Lage trieb sie nach der Ankündigung von einschneidenden Sparmaßnahmen der neuen Regierung zum gewalttätigen Protest, mindestens 300 Menschen kamen ums Leben.

Weltbank-Mitarbeiter Alan Gelb legte jetzt unter dem Titel Ölgewinne - Fluch oder Segen? eine umfassende und detaillierte Analyse der Folgen des Ölbooms vor. Er kommt zu dem Schluß, daß es den meisten erdölexportierenden Ländern inzwischen schlechter geht als vor dem Boom. Finanzexperte Gelb untersuchte die Entwicklung der fünf Opec-Länder Venezuela, Nigeria, Indonesien, Algerien und Ecuador sowie des dem Kartell nicht angehörenden Ölförderstaats Trinidad und Tobago. Seiner Studie zufolge gelang es von diesen sechs Ländern lediglich Indonesien, den in den siebziger Jahren erworbenen Ölreichtum zur Festigung seiner gesamtwirtschaftlichen Lage einzusetzen - hauptsächlich durch den Ausbau des Agrarsektors.

Am schlechtesten schneidet in Gelbs Übersicht Nigeria ab. Mitte der achtziger Jahre war der Lebensstandard der Nigerianer nach seinen Angaben weit niedriger als vor dem Ölboom. Das zentralafrikanische Land wies zwischen 1972 und 1984 trotz eines beispiellosen Investitionsbooms nur ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von jährlich 2,5 Prozent auf. In den sechs Jahren zuvor war das Bruttosozialprodukt im Schnitt noch um 9,2 Prozent geklettert.

Als einen der Hauptgründe für die besonderen Wirtschaftsprobleme der Ölförderländer nennt Gelb das hohe Tempo, mit dem der Reichtum zunächst ins Land hineinszusprudeln schien. Die Regierungen fühlten sich seiner Ansicht nach veranlaßt, die Einnahmen möglichst schnell wieder auszugeben, um ihrer Bevölkerung greifbare Ergebnisse vorzuweisen und dem Verdacht entgegenzuwirken, daß die Mittel gehortet oder in irgendwelche dunkle Kanäle gelangen würden. Dies habe oft zu übermäßig riskanten Investitionen und zur Vernachlässigung grundlegender Wirtschaftsmaßnahmen wie beispielsweise Steuerreformen geführt, schreibt Gelb.

Seit 1986 haben sich die Wirtschaftsprobleme zudem mit dem Ölpreisverfall von 30 auf nur noch wenig mehr als zehn Dollar je Barrel spürbar verschärft. Die Regierungen der Ölförderländer mußten von der Illusion aus den siebziger Jahren Abschied nehmen, daß der Ölpreis weiter steigen werde. „Am Ende des Booms standen die Ölexportländer schlechter da, als es der Fall gewesen wäre, wenn es weit niedrigere, berechenbarere Zuwchsraten beim Erdölpreis oder konstante reale Ölpreise gegeben hätte“, meint der Weltbankexperte.