: „Es ging den Richtern nur ums Finanzielle“
Mechthild S. mußte im Theissen-Prozeß als Zeugin auftreten ■ I N T E R V I E W
Schon zweimal stand Mechthild S., 39, vor den Richtern im Memmingen, weil sie 1985 bei dem Frauenarzt Horst Theissen hatte abtreiben lassen, ohne den vorgeschriebenen Instanzenweg einzuhalten. Vor einem Jahr, im Februar 88, wurde sie von einem Amtsrichter zu 2.400 DM Geldstrafe verurteilt. Am vergangenen Montag stand sie nun vor dem Landgericht: diesmal als Zeugin im Prozeß gegen den Arzt.
taz: Was wollten Richter und Staatsanwälte von Ihnen wissen?
Mechthild S.: Hauptsächlich wurde ich zu meiner finanziellen Situation befragt. Sie wollten wissen, wie hoch die Schulden waren, wieviel ich verdient habe, ob ich ein Auto hatte.
Wieso ein Auto?
Im Zusammenhang mit meiner Berufstätigkeit wurde ich gefragt, wie weit meine Arbeitsstelle entfernt war. Die 22 km waren dann wohl ausreichend, damit ich ein Auto besitzen durfte.
Interessierte man sich auch für Ihren Partner?
Bereits am Anfang der Vernehmung erwähnte ich, daß unsere Partnerschaft zu dieser Zeit in einer tiefen Krise war. Da wollten sie wissen, ob es Trennungsabsichten gab - was ich bestätigt habe. Was sie auch sehr interessierte, war die Behandlung bei Dr.Theissen. Wie lange die Gespräche zwischen uns dauerten, wie oft ich dort war und ob er mich auf den regulären Instanzenweg hingewiesen hat. Und das hat er getan.
Wurden Sie gefragt, warum Sie den Abbruch wollten, worin für Sie die Notlage bestand?
Nein, das hat die nicht interessiert. Schon bei meiner Verhandlung damals vor dem Amtsgericht habe ich immer wieder versucht, das deutlich zu machen, aber meine persönlichen Gründe interessierten nicht.
Hatten Sie den Eindruck, daß Richter oder Staatsanwälte Sie dahin bringen wollen, gegen Dr. Theissen auszusagen?
Mir ist aufgefallen, daß sie mehrmals die gleiche Frage wiederholten und sich z.B. bestätigen ließen, daß ich keine Indikationsstellung von einem anderen Arzt hatte'daß ich bei keiner Beratungsstelle war und Herr Theissen dies auch nicht ausdrücklich von mir verlangte.
Welchen Eindruck hatten Sie insgesamt von den Staatsanwälten und Richtern?
Mein Eindruck war, daß es ihnen nur um das Finanzielle ging und es ihnen peinlich war, wenn ich etwas Persönliches erzählte. Wenn ich damit anfing, wurde ich unterbrochen, und man kam zurück zu streng Sachlichem. Mir ist auch aufgefallen, daß sie mich niemals direkt anschauten. Als ich reinkam, starrte jeder nur vor sich hin. Der Staatsanwalt schaute sogar an mir vorbei, wenn er eine Frage an mich stellte, und wenn ich ihn anschaute, wandte er sich ab.
Hat es Sie belastet, die Geschichte Ihrer Abtreibung, die mittlerweile vier Jahre zurückliegt, vor Gericht jetzt wieder aufzurollen?
Mein eigener Prozeß damals vor dem Amtsgericht hat mich sehr stark belastet. Verglichen damit war die Zeugenaussage im Theissen-Prozeß einfacher. Damals vor dem Amtsgericht war es ein sehr langer Termin, ich mußte detailliert meine Verhältnisse vor großem Publikum offenlegen . Auf den Zuschauerbänken saß eine ganze Mädchenschulklasse. Heute bei der Zeugenaussage fühlte ich mich souveräner, und es dauerte nur zirka eine halbe Stunde. Ich hätte mir sogar gewünscht, daß Öffentlichkeit dabei gewesen wäre.
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