Pakistan soll an Bomben-Reaktor basteln

Atomfachblatt berichtet über bislang unbekannten 50 Megawatt-Reaktor jenseits internationaler Kontrolle, mit dem Plutonium und Tritium gewonnen werden können / Bundesdeutsche Firmen steuerten Anlagen bei / Verstärkt sich der US-Druck auf Bonn aufs neue?  ■  Von Thomas Scheuer

Washington/Berlin (taz) - Pakistans Atomingenieure basteln möglicherweise seit Jahren an einem bisher nicht bekannten Atomreaktor für militärische Zwecke. Wichtige Zutaten wurden von westdeutschen Firmen beigesteuert. Diese Schlußfolgerungen legen US-amerikanische Geheimdienstinformationen nahe, über die das Atomfachblatt 'Nuclear Fuel‘ in seiner jüngsten Ausgabe berichtet.

Vermutet wird, daß Pakistan an einem bisher noch unbekannten Ort einen 50-Megawatt-Reaktor baut oder bereits fertiggestellt hat, in dem sowohl waffenfähiges Plutonium als auch, durch die Bestrahlung von Lithium-6, das als Verstärker für Plutonium-Bomben begehrte Tritium gewonnen werden kann.

Bisher sind in Pakistan, das den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat, nur zwei Reaktoren bekannt: Der mit Natururan betriebene Schwerwasser-Reaktor KANUPP (125 Megawatt) bei Karachi und der Forschungsreaktor PARR (Leichtwasserlinie, 5 Megawatt) bei Rawalpindi, beides Uralt -Modelle aus den sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre. Beide Anlagen und das in ihnen verwendete Material unterliegen aufgrund spezieller Verträge der internationalen Überwachung durch die IAEA.

Eine Hypothese macht Sinn

Die Hypothese, es gebe einen bislang geheimgehaltenen neuen Reaktor, verleiht den im Herbst letzten Jahres von der Hanauer Staatsanwaltschaft enthüllten illegalen Lieferungen der Firmen NTG und PTB nach Pakistan Sinn: Die Bundesbehörden hatten - skandalös genug - der NTG den Export einer Schwerwasser-Reinigungsanlage nach Pakistan genehmigt. Geliefert wurde aber eine Tritium-Sammel- und -Reinigungsanlage. Im Zusammenhang mit den beiden bekannten Reaktoren macht die gelieferte Version (Kältetechnik -Verfahren) dieser Anlage wenig Sinn.

Sehr wohl aber eignet sich die von NTG nach Pakistan geschmuggelte Tritium-Anlage zur Extrahierung von Tritium, das durch Neutronenbombardierung von Lithium gewonnen wurde

-was nur in einem Reaktor geschehen kann. (Tritiumgas mit einem Anreicherungsgrad von 98 Prozent wirkt schon in Mengen von nur vier bis fünf Gramm als Verstärker in Plutonium -Bomben.) Da die beiden Reaktoren KANUPP und PARR unter IAEA -Kontrolle stehen, gehen Experten seit längerem davon aus, daß sich Pakistan zusätzlich um einen nichtkontrollierten Reaktor bemüht.

Daß ein solcher Atomreaktor irgendwo in Pakistan steht, bereits vollendet oder noch im Bau, jedenfalls bislang vor der Weltöffentlichkeit verborgen, darauf deuten nach Ansicht von Atom-Experten zahlreiche Materiallieferungen hin, über die pakistanische Beschaffungsagenten in den letzten Jahren verhandelten oder die auch faktisch durchgeführt wurden meist von deutschen Firmen, etwa den beiden jüngst aufgeflogenen Hanauer Klitschen NTG und PTB. Auch die Staatsanwaltschaft in Hanau geht mittlerweile davon aus, daß die von NTG gelieferten Teile für rein militärische Zwecke bestimmt waren.

Atom-Shopping in der BRD

Das pakistanische Atom-Shopping in deutschen Landen hat lange Tradition: In rund 100 diplomatischen Demarchen, so 'Nuclear Fuel‘, haben US-Regierungsstellen seit den frühen siebziger Jahren bis heute die Bonner Bundesregierung vor jeweils konkreten Lieferungen deutscher Firmen an die Pakistan Atomic Energy Commission (PAEC) oder deren Beschaffungsagentur PAKLAND gewarnt - nur teilweise mit Erfolg.

1980 beispielsweise drängte die U.S. Arms Control and Disarmament Agency (ACDA) aufgrund einschlägiger Indizien die Bundesregierung zur Durchleuchtung der Geschäftsbeziehungen zwischen der Hanauer Nukem und der PAEC. In ihrem Bericht für die ACDA bestätigten die Bonner Bündnispartner, daß Nukem-Manager in den Jahren zuvor tatsächlich in mehreren Fällen mit den Pakistanis über die Lieferung von Nukleartechnik und Spaltmaterial (unter anderem für die nicht-IAEA-kontrollierte Wiederaufarbeitungsanlage PINSTECH bei Rawalpindi) verhandelt hätten. Angeblich wurde daraus nichts.

Mit mindestens einer Ausnahme: 30 kg Uranhexafluorid (UF 6) mit unbekanntem Anreicherungsgrad, Ausgangsstoff für die Herstellung von Brennelementen, lieferte Nukem nach Pakistan. Abgewickelt wurde der Deal über die pakistanische Botschaft in Paris. Verhandelt worden war - angeblich ergebnislos - auch über heikle Komponenten wie Reflektormaterial, Beryllium und Tritium-Targets, alles Elemente, die in die Theorie vom Geheim-Reaktor passen.

US-Emissäre wiesen Bonn auch immer wieder auf die Geschäfte des Düsseldorfer Atomhändlers Alfred Hempel hin, der ihrer Meinung nach der PAEC ebenfalls bei der Materialbeschaffung für einen unkontrollierten Reaktor half. In einem Bericht des Bundesnachrichtendienstes (BND) vom Dezember 1986, der der taz in Kopie vorliegt (vergl. taz vom 8.12.), werden Erkenntnisse eines „befreundeten Dienstes“ über verschiedene Hempel-Transaktionen wiedergegeben. Danach hat der Düsseldorfer Kaufmann, dessen Schwarzmarktgeschäfte demnächst erneut den Atomuntersuchungsausschuß des Bundestages beschäftigen werden, Ende 1986 der PAEC die Lieferung von Borkarbid angeboten (Bor und seine Verbindungen sind beim Reaktorbau als Absorbermaterial einsetzbar). Der Verfasser des BND-Papiers notiert in seiner Bewertung des Angebots Hempels, dessen weiterer Verlauf ungeklärt ist: „Es ist bekannt, daß Pakistan an der Entwicklung eines nationalen, nicht international überwachten Reaktors arbeitet.“

Im Blick: Leybold-Heraeus

Die US-Regierung, seit der Libyen-Affäre ohnehin stinksauer auf Bonns Politik bezüglich dem Export sensibler Technologie, will offenbar das Gebaren der Kohl-Regierung in Sachen Weiterverbreitung (Proliferation) von Atomtechnologie künftig schärfer beäugen: Als Testfall für Bonns vollmundige Beteuerungen, die Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag keinesfalls auf die leichte Schulter zu nehmen, gilt in Washington der weitere Verlauf eines seit Jahren dahindümpelnden Strafverfahrens gegen die Firma Leybold-Heraeus. Die hatte bei einer Firma in der Schweiz Teile für eine Uran-Anreicherungsanlage herstellen lassen und nach Pakistan zu schmuggeln versucht. 1986 beschlagnahmte der Schweizer Zoll in Basel drei für Pakistan bestimmte Autoklaven. Der eidgenössischen Justiz genügte die Faktenlage schon 1987 zur rechtskräftigen Verurteilung von drei Managern der dortigen Partnerfirma. Das Verfahren hierzulande wird offenbar verschleppt.

Läßt die Justiz schon mal eine kleine Schummelklitsche wie NTG über die Klinge springen, traut man sich an die großen Brocken im Atombusiness offenbar nicht recht ran: Hinter Leybold-Heraeus, ansässig in Köln und Hanau, stehen mit der Degussa und der Frankfurter Metallgesellschaft die gleichen Haupteigner wie hinter der Nukem. Doch der Druck der Proliferationsexperten in der US-Administration auf die Kohl -Regierung, die westdeutsche Atom-Branche und deren heikle Exportpraxis nun endlich gründlich zu durchleuchten, wird sich, so deuten westliche Diplomaten an, auch in Zukunft wohl in Grenzen halten - „wegen anderer außenpolitischer Streitfragen“: Der von Washington geplanten Modernisierung der auf bundesdeutschem Boden stationierten atomaren Kurzstreckenraketen vom Typ Lance.