Standbild: Wider die Normalität

■ Roter Vogel, nach einer Novelle von Joyce Carol Oates

(Roter Vogel, nach einer Novelle von Joyce Carol Oates, Dienstag, 7.3., 23.30 Uhr, ARD) Eine Flugzeugentführung im Alleingang. Stewardeß Marian ist einzige Geisel. Scharfschütze Oberon hat beide im Visier, als sie in ein anderes Flugzeug überwechseln. Er zielt und trifft den Entführer. Sechs Wochen später sucht Oberon Marian zu Hause auf. Eine Liaison beginnt, deren Reiz in dem wechselseitigen Ausgeliefertsein von Befreier und Opfer liegt. Marian versucht dieses Stadium zu überwinden, will vergesen, mit ihm, dem Verheirateten, will sie Normalität haben. Sie bereitet ein Essen, zwingt ihn fast zu einem Spaziergang. Er bleibt undurchdringlich. Nur wenn sie ihre Erinnerung auf alle Details der Entführung lenkt, ihr fast intimes Verhältnis zu dem spätpubertären Entführer zu ergründen sucht, da leuchten seine Augen, da ist er für sie da. Einmal überrascht sie ihn: liegt als Vamp, in blutrotes Lackleder gehüllt auf einem blutroten Bett. Starr wie eine Mumie. Er ist befremdet, springt aber darauf an. „Du meinst nicht mich“, sagt Marian, und Oberon geht.

Die größte Stärke dieses Films von Dagmar Damek ist die Kameraführung. Szenen aus der Entführung werden perfekt ins unpersönliche Appartement hineingeholt, Personen und Situationen so abgetastet, mitvollzogen, daß sie per se fremd, ein Erlebnis sind. Michael König hat die Rolle des geilen, coolen Helden, doch er macht einen Menschen daraus. Durchaus unentschieden bleibt, wer wen um seiner selbst willen liebt oder quält.

Flughafengebäude, Rollfeld, Treppenhaus. Marian und Oberon: halbbekleidet, unbekleidet. Sie seien sie selbst und sonst nichts bei ihren Treffen, meint er. Ihr macht das Angst. Eine Geschichte in der Schwebe, in der Erinnerung, im luftleeren Raum. Kein Wort zuviel, keine Geste überflüssig, keine Einstellung zu lang. Variationen um zwanghaft -traumatische Rückerinnerungen.

Der Film funktioniert. Er ist ein Kunstwerk. Ist die mediale Potenzierung der Literatur. Daß so etwas möglich ist! Man möchte mehr davon einklagen. Deshalb wahrscheinlich der nächtliche Sendeplatz. Präventiv.

Petra Kohse