Die dunkle Seite Amerikas

■ Auch Constantin Costa-Gavras hat einen Film über Rassismus gedreht: „Verraten“ kommt heute in die bundesdeutschen Kinos

Der Film beginnt da, wo Talk Radio aufhört: mit dem rassistischen Mord am jüdischen Rundfunkmoderator Alan Berg. Ein Schuß in der Tiefgarage, einer der Mörder sprüht „ZOG“ über Auto und Leiche. Schnitt. Wogende Weizenfelder, ein Mähdrescher bei der Arbeit. Die helle Seite Amerikas. In Talk Radio beschränkt sich Oliver Stone bewußt auf die dunkle Seite, auf die nächtlichen Stimmen im Studio. Costa -Gavras will mehr: Bei ihm sind die Ku-Klux-Klan-Mitglieder, die Leute, die Schwarze zu Tode jagen, nicht nur Monster. Sie sind auch Farmer, Familienväter, Liebhaber. Sie feiern Feste, gehen in die Kirche, bringen ihre Kinder zu Bett. Und: Anders als Alan Parkers Mississippi Burning spielt die Geschichte nicht vor über 20 Jahren, sondern heute. Verraten könnte also der beste dieser drei amerikanischen Filme über Rassismus sein, die zur Zeit in den deutschen Kinos anlaufen.

Das Gegenteil ist der Fall. Katie, die den Mähdrescher fährt, verliebt sich in den Farmer Gary. Das soll sie auch, denn in Wirklichkeit ist sie keine Studentin, die in den Ferien bei der Ernte hilft, sondern FBI-Agentin, angesetzt auf den Ku-Klux-Klan. Und ihr smarter Liebhaber, der mit Mutter und Kindern ein heimeliges Familienleben führt und so zart besaitet ist, daß er es nicht übers Herz bringt, seinem kranken Pferd den Gnadenschuß zu versetzen, wird nachts zum Monster. Kaum daß Katie zum erstenmal mit ihm geschlafen hat, lernen wir sein wahres Wesen kennen. Vorher die Schüchternheit in Person, pöbelt er hinterher jeden an, der ihm in die Quere kommt, begibt sich nachts auf „Niggerjagd“ und fährt am Wochenende ins Ausbildungscamp des Clans, mit Kind und Zelt, Schießübung und Lagerfeuer.

Nebenbei erfahren wird, daß Katie Waise ist - deshalb also sucht sie Familienanschluß - und daß an Garys Brutalität natürlich der Vietnam-Krieg schuld ist. „Die Bank hat mir meine Farm genommen und Vietnam meinen Sohn.“ Die meisten Dialoge sind noch schlechter. Wir erfahren, daß Katie Gary trotz alledem liebt und daß sie dennoch zugleich einem ihrer FBI-Kollegen hörig ist und deshalb wie befohlen an Überfällen, Attentaten etc. teilnimmt, damit Gary keinen Verdacht schöpft. Bloß warum, erfahren wir nicht.

Das Drehbuch psychologisiert, aber schon den Dialogen fehlt jedes bißchen Glaubwürdigkeit und den Bildern erst recht. Gary hat zwei Gesichter, er wechselt sie wie Masken. Sein wahres Gesicht wäre das eines die Schwarzen mordenden, aber seine Kinder liebenden Familienvaters. Dieses Gesicht zeigt Costa-Gavras keine Sekunde. Dabei liegt das Monströse von Garys Gestalt doch gerade in der Gleichzeitigkeit von Liebhaber und Bestie.

Am Ende erschießt ihn Katie. Mit theatralischer Geste ruft er im Sterben: „Ich habe dich so geliebt.“ Alleine dafür hätte Costa-Gavras einen Preis für unfreiwillige Komik verdient. Aber es kommt noch dicker. Garys hübsche kleine Tochter mit dem jüdischen Namen Rahel und den auswendig gelernten rassistischen Sprüchen auf den Lippen verteidigt am Ende die Mörderin ihres Vaters, die inzwischen längst ihren Dienst beim FBI quittiert hat. Die Gründe für den Gesinnungsumschwung der beiden enthält der Film uns vor. Da steht nur ein Mädchen vor den Sonntagskirchgängern, die Katie verjagen wollen, und hält eine Rede für die Freiheit: „Dies ist Amerika.“ Fehlt nur noch, daß sie die Fahne schwingt.

chp

Constantin Costa-Gavras: Verraten; Drehbuch: Joe Eszterhas; mit Debra Winger und Tom Berenger; USA 1987