Studentenprotest in Warschau zugelassen

Unabhängiger Studentenverband NZS darf demonstrieren / Verkauf von illegaler Literatur geduldet  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Vor genau einem Jahr gab's an dieser Stelle noch eine brutale Knüppelei, als Studenten der Warschauer Universität Blumen niederlegen wollten zum Andenken an die Ereignisse von 1968. Heute ist einiges anders geworden.

Nach dem Treffen zwischen Innenminister Kisczak und Arbeiterführer Lech Walesa gestern nachmittag konnten Polens Bürger heute in der Presse lesen, daß es eine „weitere Annäherung der Standpunkte gegeben habe“, die auch die Zulassung des unabhängigen Studentenverbandes NZS einschließe. Und die Demonstration, die der NZS für gestern nachmittag angesetzt hatte, wurde behördlich genehmigt.

Selbst Rektor Bialkowski, der sich vor einem Jahr noch zurückgehalten hatte, hielt vor mehr als 5.000 Studenten eine Rede über den 8. März 1968. Damals hatte die Regierung Prügelkommandos der Polizei auf die Studenten gehetzt. Im Rahmen der sogenannten antizionistischen Säuberungen hatten mehrere zehntausend Polen jüdischer Herkunft das Land verlassen. „Das ist eigentlich kein Tag des Ruhms für unser Land“, meinte Bialkowski. Und ein Solidarnosc-Sprecher der Universität erinnerte an Parteichef Gomulkas Worte, die einmal errungene Macht nie wieder abgeben zu wollen. Trotzdem konnten die Demonstranten und Zuschauer für zwei Stunden mit behördlicher Genehmigung fast den gesamten Innenstadtverkehr vor der Uni zum Erliegen bringen. Unter den Augen der wenigen Verkehrspolizisten verkauften fliegende Händler Untergrundliteratur, Studenten verteilten Flugblätter - die einzige Sorge der Sicherheitskräfte galt dem Verkehr.

Ausprobiert hatten Studenten den freien Verkauf illegaler Literatur bereits vor drei Tagen. Da stellten sich einige von ihnen in den Eingang des Gebäudes der polnischen Presseagentur 'pap‘, pikanterweise ganz in der Nähe des Zentralkomitees der PVAP, und bauten einen improvisierten Verkaufsstand auf. In geschlossenen Räumen, etwa in dem vornehmen Hotel, wo das Solidarnosc-Pressebüro residiert, war das schon lange möglich.

Die Damen und Herren Redakteure von der Gewerkschaftspresse - wie Solidarnosc-Sprecher Janusz Onyszkiewicz sie nennt stellen in manchen Pressekonferenzen der Opposition fast die Mehrheit der Anwesenden. Inzwischen gehören sie schon zum alltäglichen Bild auf den Konferenzen von Regierungssprecher Urban. Der leitende Redakteur von 'Interpress‘ ruft sie inzwischen sogar schon beim Namen auf. Zumindest praktisch und vorübergehend ist weitgehend schon Wirklichkeit, was die Opposition am runden Tisch erreichen will: ein Verfolgungsmoratorium für die unabhängige Presse.