„Rentenreform ist systemkonservativ“

Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck-Oberdorf ist Expertin in Rentenfragen  ■ I N T E R V I E W

taz: Du beschäftigst Dich mit einem Thema, das die meisten Leute frühestens ab dem 50.Lebensjahr interessiert: die Rente. Wie macht man denn in so einem Bereich Politik?

Marieluise Beck-Oberdorf: Man täuscht sich in der Rentenfrage über die eigene Lebensbiographie hinweg, wenn man so tut, als wären wir Jüngeren nicht davon betroffen. Gerade diese Einstellung der Gesellschaft zum Alter, das Gerede von der „Alterslast“, werden wir selbst noch zu spüren bekommen, wenn es uns nicht gelingt, einen gesellschaftlichen Umdenkungsprozeß anzustoßen. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie mit uns umgegangen wird, wenn sich das Verhältnis von Erwerbstätigen zu den Alten noch weiter verschiebt. Die soziale Utopie in unseren Vorschlägen ist: In einer so reichen Gesellschaft muß kein Mensch befürchten, im Alter in materieller Not zu leben.

Bisher wird bei der Rentenreform ja hauptsächlich über Prozente geredet und nicht über gesellschaftspolitische Fragen.

Es ist ja auch eine Finanzreform. Es ist eine Sparreform, nach dem Motto: Die Kosten der „Alterslast“ müssen niedrig gehalten werden. Die grundsätzliche Frage wäre eben: Was heißt würdevolles Altern? Damit wollen sich die anderen nicht befassen. Denn dann stünde sofort die Frage einer existenziellen Absicherung auf der Tagesordnung, etwa in Form einer Sockelung. Das würde Umverteilung bedeuten.

Was tut ihr, damit mehr als eine Prozentdebatte daraus wird?

Unsere Kernfrage lautet: Ist diese Reform in der Lage, Altersarmut zu beseitigen? Und das ist sie mit Sicherheit nicht. Diese Reform ist ganz system-konservativ, sie bleibt bei dem Prinzip der Koppelung an die Erwerbstätigkeit - und zwar ausgehend von einer 35- bis 49jährigen Vollerwerbsbiographie. Das ist jedoch eine klassische Männerbiographie. Für Frauen bleibt das einfach eine Fiktion. Und selbst Männer haben bei der anhaltenden Massenerwerbslosigkeit zunehmend Brüche. Ohne eine Grundrente oder eine bedarfsorientierte Grundsicherung, also eine durchgehende Sockelung wird die Altersarmut nicht beseitigt. Sie wird sich verschärfen, da jetzt am bestehenden System zusätzlich Abstriche gemacht werden.

Welche Abstriche sind das?

1.: Eine Absenkung des Rentenniveaus auf 70% der durchschnittlichen Nettolöhne. Noch vor zwei Jahren hat eine Bundestagskommission zur „Harmonisierung der Alterssicherungssysteme“ festgestellt, daß diese 70% die allerunterste Marge darstellen können, damit man überhaupt von Lebensstandardsicherung reden kann. 2.: Krankheit, Arbeitslosigkeit werden in Zukunft mit Renteneinbußen von 20% bestraft. 3.: Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit wirkt sich de facto wie eine Rentenkürzung aus und wird Frauen stärker treffen als Männer.

Nun wird ja auch von Seiten der AsF-Frauen gesagt, die Reform sei durch die Mitarbeit der SPD verbessert und für Frauen akzeptabel.

Das ist ja das Groteske daran. Im August hat die SPD ein sozialpolitisches Programm mit der Forderung nach Mindestsicherung verabschiedet. Vier Wochen später geht Dreßler in die großen Kompromißverhandlungen, und das Programm interessiert ihn einen feuchten Kehricht. Natürlich ist es so, daß die SPD in einzelnen Punkten Verschlechterungen, die speziell Frauen getroffen hätten, noch verhindert hat: Die ersten vier Berufsjahre sollen nun weiterhin mit 90% des Durchschnittsverdienstes bewertet werden. Und Frauen, die mindestens 35 Jahre Rentenbiographie aufzuweisen haben, bekommen in Zukunft ihre Rente auf 75% des Durchschnitts aufgestockt. Natürlich wird das eine bestimmte Gruppe von Frauen besserstellen, etwa eine Million, aber diese Regelung orientiert sich nur an den erwerbstätigen Frauen. Selbst dabei kommt jedoch nur eine Rente knapp oberhalb des Sozialhilfeniveaus heraus. Die SPD hat keinen einzigen Schritt raus aus dem bestehenden System getan.

Durch die Anrechnung der Kindererziehungszeiten ist ja eine gewisse Neubewertung von Arbeit enthalten, so problematisch das in dieser Form auch ist.

Das liegt als einziges quer zum System. Kindererziehhung wird als Leistung in der Rente anerkannt, mit etwa 80 Mark pro Kind. Aber das kommt von der CDU, nicht von der SPD, und ist sowieso Zukunftsmusik für das Jahr 2030. Aber mit diesem neuen Leistungsbegriff habe ich durchaus auch Probleme. Ich finde es richtig, daß durch Kindererziehung bedingte Benachteiligungen ausgeglichen werden. Nur: Wir müssen uns abgrenzen von einer Politik, die in Richtung Geburtsprämie geht.

Nun gibt es in der Rentenfrage ja eine große Koalition zwischen SPD und CDU. Wie machen die Grünen da Opposition?

Das ist schwierig. Die großen Parteien haben sich geeinigt, die SPD verkauft Scheiße für Gold. Der DGB ist voll eingebunden, erwerbsorientiert, wie er ist. Und die Alten haben außer den Grauen Panthern wenig Lobby. Wir können nur auf die Aufmüpfigkeit der Alten und auf einen Bewußtseinswandel der Jungen setzen.

Interview: Ursel Sieber