DEINE SPUREN IM SAND

■ „Dance Berlin“ im Ballhaus Naunynstraße

Auf der Bühne ist Herbst. Der Boden liegt voll braunem Laub. Eine Gestalt windet sich aus den raschelnden Blättern hoch und wirft sie über sich. Mit ihr erheben sich ein fahles Licht und drohende Musik. Die Gestalt wehrt sich immer heftiger gegen Klang und Licht, sie schleudert die Arme gegen den eigenen Körper, doch die Elemente steigern sich erbarmungslos: Die Helligkeit entblößt, der skandierende Rhythmus zwingt selbst die verzweifelt zuckenden Körperbewegungen in eine organische Ordnung. Es wird ein Kampf gegen sich selbst, gegen das Erwachen im Tiefschlaf.

Kaltes Ich im fallenden Herbst-Stein ist eine von zwei Produktionen des Performance-Projekts „Dance Berlin“ der Tanz Tangente. Das Stück haben TänzerInnen und Choreograph in ständiger Zusammenarbeit entwickelt. Leitmotive für die Tanzfiguren sind Texte des israelischen Choreographen Joseph Tmim. Darin geht es um Träume und Zeiträume, das Erinnern des Vergessenen.

Das Stück scheint nach verschiedenen Traumphasen unterteilt, in denen es mal heller, mal dunkler wird und die Tanzenden in verschiedenen Gewändern auftreten. Die einzelnen Passagen haben keine definierte Bedeutung. Meistens paarweise formieren die vierzehn TänzerInnen ballettartige Figuren. Oft ist es wie ein Ringen, indem sich die Paare ineinander verklammern und im gleichen Augenblick abstoßen wollen. Beides gelingt nicht. Nähe wird versucht und entgleitet ebenso schnell wie die Ferne, in die sie sich flüchten: Einen Zustand gibt es nicht; immer ist Unruhe.

Die Musik ist Requisite: Sie untermalt nichts, sondern wird zu einem Stück der Bühne, zur bedrohlichen Fläche, von der die Tanzenden vergeblich fliehen. Sie vereinnahmt den Raum, mischt sich undeutlich mit dem Geraschel der Blätter. Eine Stimme überlagert einmal die schrille Elektronik, ohne verstanden zu werden.

Die Körper der TraumtänzerInnen verschmelzen zu einem, wenn sie langsam und gleitend, kriechend und krabbelnd ein Ziel suchen. Vergeblich: Als sie auf Stühlen sitzen, mitten im Laub, entgleiten sie denen auch, rutschen und taumeln vom sicheren Sitz - Stühle, auf denen kein Halt ist.

Einmal nur scheint sich der Schleier zu lüften: Die Musik schweigt, da kommt eine allein ins helle Licht, im dunkelblauen Kinderkleid, und spielt mit den Stühlen und mit Wasser, freut sich schwerelos - und fällt in hoffnungslosen Kinderschmerz. Worüber? Da ist der Schleier wieder, der nichts erklärt. „Die Welt schließt sich hinter uns - im flachen Sand sind alle Spuren ausgelöscht“, schreibt Joseph Tmim.

Christian Vandersee

Kaltes Ich... noch bis zum 12. März, täglich 20.30 Uhr, Ballhaus Naunynstraße. 2. Projekt: Exu, 15. bis 19. März. Ort und Zeit: gleich.