Tiergartener Torpedos gegen Rot-Grün

■ Eklat in Tiergartener Bezirksverordnetenversammlung / SPD und AL zogen gemeinsam aus der Sitzung / Abtrünnige SPD-Verordnete torpedieren Vereinbarung mit der AL über Stadtratswahl / AL fühlt sich „verschaukelt“, SPD-Spitze kündigt Konsequenzen an

Ein Eklat zerstörte gestern in der Tiergartener BVV vorerst die Hoffnungen auf eine rot-grüne Zusammenarbeit in dem Innenstadtbezirk. Bernd Westhäußer, der Bürgermeisterkandidat der SPD, zog unmittelbar vor der Sitzung seine Kandidatur zurück. Nach eigenen Angaben „überraschend“ hatte die SPD-Fraktionsspitze gestern erfahren, daß ein Drittel ihrer Bezirksverordneten nicht bereit sei, ein mit der AL vereinbartes Wahlverfahren mitzutragen, obgleich eine SPD-Kreisdelegiertenversammlung dies beschlossen hatte.

Dem Vernehmen nach gehörte Westhäußer zu diesen Abtrünnigen. Die SPD-Fraktion versuchte in der gestrigen Sitzung daraufhin zunächst, die ursprünglich von ihr beantragte Entscheidung über das Verfahren zu vertagen. Es hätte der AL einen zweiten Stadtratsposten verschafft. Sozialdemokraten und AL zogen nach mehreren Krisensitzungen schließlich gemeinsam aus dem Saal. Die BVV-Sitzung mußte wegen Beschlußunfähigkeit vertagt werden.

Der stellvertretende SPD-Kreisvorsitzende Tiemann kündigte gestern an, „gegebenenfalls die notwendigen Konsequenzen“ zu ziehen. Offenbar war dies auf die Abweichler gemünzt. Zusammen mit Fraktionschef Porath versprach er eine außerordentliche KDV und „intensive Gespräche“ mit den abtrünnigen Verordneten.

Westhäußer, bisher Tiergartener Sozialstadtrat, hatte, wie es heißt, bereits auf der entscheidenden KDV gegen das mit der AL vereinbarte Verfahren gestimmt. Danach sollte der siebte Stadtratsposten nach dem Auszählverfahren Hare/Niemeyer vergeben werden, das kleinere Parteien begünstigt. Es hätte der AL einen zweiten Stadtratsposten verschafft. Nach dem herkömmlichen Verfahren nach d'Hondt hatte sich ein Patt zwischen AL und CDU ergeben. Beide Parteien hätten den Posten beanspruchen können. Der bisherige Tiergartener Bürgermeister Ernst (CDU) bekräftigte gestern in der BVV den Anspruch seiner Partei. Er forderte, das Patt per Los aufzulösen. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte vor vier Jahren in einem ähnlichen Fall in Steglitz sowohl das Los als auch die Auszählung nach Hare/Niemeyer für zulässig erklärt.

Der Tiergartener SPD-Kreisverband wird seit langem vom rechten Flügel der Partei dominiert. Trotz einer rechnerischen rot-grünen Mehrheit, die bereits in der letzten Wahlperiode bestanden hatte, war es nie zu einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien gekommen.

Im Zehlendorfer Bezirksamt wurde Herbert Wilkens Wirtschaftsstadtrat der Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB). Eigentlich wollte die WUB unbedingt den Posten des Bausenators besetzen und war deswegen aus einem Bündnis mit AL und SPD für ein anderes Zählverfahren wieder ausgeschert. Ihr Kandidat für das Bauressort sagte in letzter Minute ab. CDU-Bürgermeister Klemann bleibt im Amt.

Streit um das Berechnungsverfahren wird es auch in Wilmersdorf geben. Wie in Tiergarten gäbe es beim Auszählen nach d'Hondt ein Patt beim siebten Stadtratsposten. Ihn könnten sowohl CDU als auch SPD beanspruchen; obsiegte die CDU, hätte sie die absolute Mehrheit im Bezirksamt, obgleich SPD und AL mit knapper Mehrheit die BVV dominieren. Gemeinsam mit der AL will die SPD bei der Stadtratswahl im April deshalb den siebten Posten nach Hare/Niemeyer verteilen; die CDU plädiert für das Los. Während SPD und CDU in Wilmersdorf noch nicht endgültig entschieden haben, welche Ressorts sie mit wem besetzen wollen, ist die AL schon weiter. Sie beansprucht nach einer Übereinkunft mit der SPD das Bauressort. Am Dienstag entscheidet die Wilmersdorfer AL-Basis, ob ihr bisheriger Bauexperte Uwe Szelag Stadtrat wird oder ob der ehemalige Schöneberger AL -Bezirksverordnete Heinrich Pieper gekürt wird.

Sigrid Bellack/hmt