Die Grünen wollen in Hessen an die Macht

„Sympathieschub“ für die Partei im hessischen Kommunalwahlkampf nach dem Parteitag in Duisburg / Erstmals Kandidatur in allen Wahlkreisen / Eindeutig gegen Ausländerfeindlichkeit und für das kommunale Wahlrecht / Grüne wollen auch in Nordhessen mitregieren  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Die hessischen Grünen haben sich viel vorgenommen: Erstmals in der Geschichte des Bundeslandes will die Partei bei Kommunalwahlen alle Kreistage entern und dort, wo es die neuen Mehrheitsverhältnisse dann zulassen, mit der SPD ein rot-grünes Bündnis etablieren. Die Grünen setzen nicht mehr nur in Frankfurt voll auf Koalitionskurs. Auch in vielen anderen Kommunen des Landes stehen die Zeichen auf Rot-Grün. Und die letzten hessischen Fundamentalisten haben längst die „Waffen“ gestreckt. Manfred Zieran rief gar zum „Boykott der Grünen“ auf und verabschiedete sich damit - nach Auffassung der Realos faktisch aus der Partei. Jutta Ditfurth bezeichnete ihre eigene Partei als „kleineres Übel“. Entsprechend bissig kommentierte das Parteiblatt 'Stichwort: Grün‘ das Verhalten der Exponenten der Radikalökologie: „Nach all den Nackenschlägen ist Kopfweh eine bekannte Folge. Warum ausgerechnet Manfred Zieran mit seinem Boykottaufruf die SPD stärken will, bleibt unergründlich.“

Dabei hat sich keine andere Partei in dem insbesondere von der CDU erbittert geführten Wahlkampf so deutlich vor die von der neuen „nationalen Welle“ bedrohten AusländerInnen und AsylbewerberInnen gestellt wie die Grünen. Dem Versuch der Union - mit den Republikanern und der NPD im Nacken einen in der Geschichte des Hessenlandes bislang beispiellosen Propagandawahlkampf gegen Minderheiten zu führen, wurde von den Grünen mit Vehemenz gekontert: „Wir Frankfurter haben die Nase voll von der schwarz-braunen Allianz - CDU abwählen.“ Hessenweit warben die Grünen für die multikulturelle Gesellschaft - und stießen dabei mitunter auch auf Ressentiments bei der eigenen Klientel. Auch 16 Prozent der Grünen-Wähler sind - nach einer 'Spiegel'-Umfrage - gegen das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen. Daß ökologisches Bewußtsein nicht vor rassistischem Gedankengut schützt, hat eine andere, angeblich ökologisch orientierte Partei schon unter Beweis gestellt: Die hessischen Republikaner berichteten auf ihrem Parteitag am 4.März in Rüdesheim stolz, daß der rechte Flügel der „Ökologisch-Demokratischen Partei“ (ÖDP) längst bei ihnen „einmarschiert“ sei. Auch von anderer Seite kam Sperrfeuer: Die Frankfurter Industrie- und Handelskammer (IHK) warnte die SPD mit erhobenem Zeigefinger vor „rot -grünen Experimenten“ in der Handels- und Bankenmetropole: Die Organisationsüberlegungen der Grünen zielten nämlich auf eine „ideologische Lahmlegung wichtigster Bereiche der Stadtverwaltung“ ab, schreiben die 'Mitteilungen‘ der IHK. Damit wollten die Grünen die weitere Entwicklung der Wirtschaftsmetropole stoppen. Den widerlichsten Part im Stimmenkonzert gegen die Grünen spielte dagegen wieder die CDU. Die „christlichen“ Unionisten schreckten nicht davor zurück, den grünen Spitzenkandidaten Daniel Cohn-Bendit über die Beschwörung antisemitischer Ressentiments zu diskreditieren: „Soll Cohn-Bendit unsere Heimat bestimmen?“ Trotz alledem geben sich die Grünen „zuversichtlich“. Nicht zuletzt der Verlauf des Duisburger Bundesparteitages habe der Partei in Hessen einen unerwarteten „Symathieschub bei den knallhart realpolitisch orientierten potentiellen Grünwählern“ gebracht, meinte der Pressereferent der Landtagsgruppe, Bernd Messinger. Noch vor Wochen zitterten die grünen KommunalwahlkämpferInnen in Hessen vor Duisburg in memoriam an den legendären Parteitag in Hannover, der damals den NRW-Grünen mit fundamentalistischem Muskelspiel die Landtagswahl versaut habe. Der „grüne Aufbruch“ in Duisburg und die eher positiv gefärbte Berichterstattung der Massenmedien über den Vorstandswahlenparteitag, war denn auch ein Motivationsschub für die flugblattverteilende und plakatklebende Basis der Partei. Die Wahlplakate der Grünen sind - von wenigen Ausnahmen abgesehen - eine Bereicherung für manch tristes Stadtbild: Da reißt der grüne Tiger das Maul weit auf, renaturierte Bächlein fließen durch die Fußgängerzonen, und Bauklötze mit Fähnchen werben für die multikulturelle Gesellschaft. Der trotzige Spruch: „So! Jetzt wird's grün!“ findet seine Ergänzung in der spezifischen Frankfurter Endungsvariante: „Aber öko -logisch!“

Der Wille zur politischen Intervention ist bei den Grünen vorhanden. Wo die CDU gestürzt werden muß, strebt die Partei das Bündnis mit der SPD an. Und dort, wo die SPD die absolute Mehrheit hält - in Hessen in nicht wenigen Städten und Gemeinden der Fall - , zeigen die Grünen den Sozialdemokraten die Tigerzähne: „Weg mit der Betonmehrheit.“

Ob die Grünen allerdings im „Börner-Land“ Nordhessen ein Bein auf den roten Boden bekommen, ist mehr als fraglich. Die SPD wird ihre nordhessischen Bastionen halten oder noch ausbauen können. In Marburg und in Wiesbaden warten rot -grüne Koalitionen auf ihre erneute Bestätigung durch die WählerInnen. Und in den südhessischen Landkreisen, in denen die SPD - nach Mehrheitsverlusten im Gefolge der Startbahn -Auseinandersetzungen - seit 1985 wieder eine knappe absolute Mehrheit hält, wollen die Grünen erneut mitregieren. Ihr Wahlkampfmotto dort: „Absolute Mehrheiten sind immer schädlich für die Demokratie.“

Der Kommunalwahlkampf in Hessen hat bei den Grünen noch eine andere, für die Partei erfreuliche Entwicklung gezeitigt: Jugendliche engagieren sich für die Partei. Im Landkreis Groß-Gerau rocken die „Grünschnäbel“ durch die Dörfer, und in Frankfurt hat sich ein „grüner Jugendstammtisch“ fest etabliert. Die jungen Leute haben gar einen Kandidaten auf der Kommunalwahlliste plazieren können: den 24jährigen Studenten Sebastian „Iggy“ Popp. Er bildet den „Gegenpol“ zur grauen Pantherin Marianne Langen (71). Die Grünen - eine Volkspartei? „Aber öko-logisch!“