Chinas Mogelpackung

Tibet seit 30 Jahren besetzt  ■ K O M M E N T A R E

Wie sich die Bilder gleichen. Heute vor 30 Jahren - am 10. März 1959 - begannen die Truppen der chinesischen „Volksbefreiungsarmee“ in eine Ansammlung von Tibetern mit Flackwerfern zu schießen. Die Menschen hatten damals um den Sommerpalast des Dalai Lama eine menschliche Mauer gebildet, weil sie befürchteten, ihr geistiges und religiöses Oberhaupt werde von den Truppen der verhaßten Eindringlinge entführt und in die chinesische Hauptstadt Beijing verfrachtet. Der Dalai Lama trat an diesem Tag seine Flucht ins indische Exil an, 120.000 Tibeter folgten ihm, unzählige verloren dabei ihr Leben. Heute schießen chinesische Soldaten wieder auf das Volk in den Straßen von Lhasa, weil es für Unabhängigkeit und die Rückkehr seines Gottkönigs demonstriert.

Zwischen dem brutalen Blutbad vor 30 Jahren und den Schüssen auf Demonstranten in diesen Tagen betrieb die VR China Völkermord auf dem Dach der Welt. Etwa 1,2 Millionen Tibeter ließen unter der chinesischen Herrschaft ihr Leben. Junge Tibeter geben heute offen zu, daß ihre Vorbilder der afghanischen Mudschaheddin und die Palästinenser sind. China wäre gut beraten, den Protest dieser Tage nicht ähnlich niederzuschlagen und durch Ausweisung aller Ausländer vor der Weltöffentlichkeit abzuschotten wie in der Vergangenheit.

Die baldige Rückkehr des Dalai Lama ist die einzige Lösung. Dafür aber hat er Bedingungen genannt. Die chinesischen Truppen und Atomraketen sollen abgezogen werden, Tibeter müssen größtmögliche Autonomie im chinesischen Staatenverband erhalten und die Einwanderung chinesischer Siedler muß eingefroren werden, damit die Tibeter nicht zur Minderheit im eigenen Land werden. Chinas Angebot, dem Dalai Lama stünde es frei, sich in Beijing niederzulassen, ist unredlich und eine typisch chinesische Mogelpackung. Immer wieder hat sich die VR China als „friedliebende Nation“ dargestellt. Es wäre nun an der Zeit, daß sie in Tibet endlich das erfüllt, was sie von ihren Nachbarn UdSSR, Vietnam und Indien fordert: Entspannung und Truppenabzug aus umstrittenen Territorien.

Jürgen Kremb