Das Atomgesetz der Gen-Technologen

■ Der erste Entwurf eines Gentechnik-„Schutz„-Gesetzes liegt vor / Petunien in Lauer-Stellung

Noch in diesem Jahr will die Regierung Kohl ein heißes Eisen abhaken: Das Gentechnik-Gesetz soll bis zum Herbst verabschiedet werden. Ein erster Entwurf liegt auf dem Tisch. Er hat selbst im Hause Töpfer die Alarmsirene ausgelöst. Noch ist unklar, wer geschützt werden soll: Bürger und Umwelt oder die Gentechniker vor dem Bürger. Auf jeden Fall kommt das Gesetz zu spät. Die erste Freisetzung von gentechnisch verändertem Material wird vorbereitet ohne Gesetz, mitten im rechtsfreien Raum.

Darauf haben alle gewartet. Jetzt hat der Apparat geliefert, der erste Entwurf liegt auf dem Tisch: das „Gesetz zum Schutz vor den Gefahren der Gentechnik“. Schon im ersten Paragraphen liegen sich Bundesgesundheitsministerium und Geningenieure in den Armen: Ziel des Gesetzes ist es, „Leben und Gesundheit von Menschen sowie die Umwelt zu schützen“ und: „die Erforschung, Entwicklung und Nutzung der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten der Gentechnik zu ermöglichen und zu fördern“. Wie schon im Atomgesetz soll die Förderung einer hochumstrittenen Technologie erneut gesetzlich festgeschrieben werden. In demselben Gesetz, das die Bürger vor den Risiken dieser Technik schützen soll.

Mit 27 Paragraphen wollen die Spezialisten aus dem Hause Lehr die Gentechnik unter Kontrolle bringen bis hin zu vorgeschlagenen Geldbußen und Freiheitsstrafen (maximal fünf Jahre). Und fast jeder dieser Paragraphen birgt Brisantes. Das fängt bei der Begriffsbestimmung an. Erfaßt und definiert als gentechnisches Arbeiten wird nur die Einschleusung fremden Erbmaterials. Wer dagegen ein Gen eliminiert oder andere Verfahren zur Veränderung der Erbsubstanz anwendet, fällt aus dem Gesetz raus.

Wichtigster Punkt des Gesetzentwurfs sind die Regelungen zur Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen und zur Öffentlichkeitsbeteiligung. Hier wird festgelegt, daß „für bestimmte Freisetzungen Ausnahmen von der Genehmigungspflicht gelten“. Die Bundesregierung entscheidet demnach in Absprache mit dem Beratergremium der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit ZKBS, ob eine Freisetzung gefährlich ist oder nicht. Wird ein Experiment als unbedenklich eingestuft, kann es abgewickelt werden wie der Nachweis der Schwerkraft in der Untertertia. Ohne Genehmigung, ohne Offenlegung der Unterlagen, ohne Öffentlichkeit.

Die Einbeziehung der Öffentlichkeit - bisher das wichtigste Korrektiv in der Anwendung kritischer Technologien - soll drastisch beschnitten werden. Bei gentechnischen Arbeiten, die „Forschungszwecken dienen“ und bei allen Experimenten der Sicherheitsstufen I und II wird die Öffentlichkeit ausgesperrt. Nur bei den wenigen Experimenten der hochgefährlichen Stufen III und IV, das sind zum Beispiel Arbeiten mit Malaria-Erregern, wird sie beteiligt. In einem Kritikpapier der grünen Gentechnik-Expertin Christa Knorr heißt es dazu:

Diese Sicherheitsstufen (III und IV) werden aber nur in Ausnahmefällen überhaupt für eine gentechnische Produktionsanlage zutreffen, weil sie einen viel zu großen Sicherheits- und Kostenaufwand erfordern. Andererseits fallen durch diesen Passus Einspruchsmöglichkeiten der Bevölkerung gegen das Betreiben militärischer Gentechniklabors ebenfalls unter den Tisch, weil diese zwar hohen Sicherheitsstufen zugeordnet werden, aber 'Forschungszwecken‘ dienen. Obwohl für Freisetzungen dann als Trostpflaster eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist, wird stillschweigend übergangen, wie diese Beteiligung überhaupt aussehen soll.

Paragraph 9 regelt die „aufschiebende Wirkung“ für Genehmigungen. Danach kann eine Genehmigung für gentechnische Experimente auch im Voraus erteilt werden, wenn „der Nachweis über die erforderliche Beschaffenheit und Ausstattung des Genlabors nachträglich erbracht wird“. Auf Deutsch: Erst genehmigen, dann nachsehen, ob alles seine Ordnung hat.

Das Gesetz schreibt nochmals die große Bedeutung der ZKBS fest, die als eine Art Reaktorsicherheitskommission der Gentechnik die Bundesregierung berät. In diesem Gremium sitzen zwölf Experten, von denen acht „über besondere Erfahrungen“ in der Mikrobiologie und Genetik verfügen müssen, also selbst aus der Branche kommen. Die bisherige Besetzung der ZKBS bestätigt diesen Trend und zeigt die zweite große Parallele zur Atomindustrie. Die Gentechnik kontrolliert und genehmigt sich selbst. Etabliert wird ein Inzuchtunternehmen, abgeschottet gegen Kritiker.

Wie groß die Macht der ZKBS ist, wird im Paragraphen 8 deutlich. „Weicht das Bundesgesundheitsamt von der Empfehlung des ZKBS ab, so hat es die Gründe darzulegen.“ Der Gentechnik-Experte der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Spangenberg, vergleicht dies mit dem Sachverständigenrat für Umweltfragen. Analog müßte die Bundesregierung diesem Gremium dann auch bedingungslos folgen und alle abweichenden Entscheidungen öffentlich begründen. Die ZKBS besitze „große Entscheidungsvollmachten“ und sei „demokratisch völlig unkontrolliert“, so Spangenberg.

Die Überwachung der Genlabors wäre nach dem Gesetzentwurf Aufgabe der Landesbehörden. Christian Sternberg vom gen -ethischen Netzwerk versucht sich vorzustellen, wie die Beamten der Regierungspräsidien und Länderministerien bei den Gen-Ingenieuren nach entfleuchten Mikroben suchen. Sein Eindruck: Die Überwachungsvorschriften seien naiv. Hunderte von Ministerialen müßten zuerst ein mikrobiologisches Studium durchlaufen, um zu verstehen, was in den Labors überhaupt passiert. Angesichts dieser faktischen Unmöglichkeit der Überwachung fragt Christa Knorr, ob man sich bei der Überwachung „statt auf Kontrolle auf die Anzeigepflicht der Betreiber verlassen“ wolle. „Auch dieses Vorgehen und seine Folgen sind aus dem Bereich der Atomtechnologie zu Genüge bekannt.“

Fazit des Gesetzentwurfs für den SPD-Experten Spangenberg: „Dieses Gesetz hat nicht den Sinn, Schäden für Mensch und Umwelt abzuwenden, sondern sie im Rahmen des technisch Machbaren zu begrenzen.“ Immer wieder, so Spangenberg, werde in dem Paragraphenwald mit dem „Stand der Technik“ operiert. Experimente würden nicht abgelehnt, wenn sie zu gefährlich seien, sondern nur wenn sie nicht dem Stand der Technik entsprächen.

Das Wort Ethik taucht in dem Gesetzentwurf nicht auf. Ethische Bedenken gegen einen Versuch sind demnach auch nicht vorgesehen.

Erhebliche Vorbehalte gegen den Gesetzentwurf kommen auch aus dem Hause Töpfer. Seine General-Rüge: Der Entwurf „trägt den Notwendigkeiten der Umweltvorsorge nicht ausreichend Rechnung“. Töpfer schlägt eine Reihe von Änderungen vor. Die wichtigste: Freisetzungen sollen über das - schärfer gefaßte - Bundesnaturschutzgesetz genehmigt werden. Genehmigungsbehörden wären dann, so Töpfers Vorschlag, die Länderministerien oder das Umweltbundesamt. Auch für die Ernennung der ZKBS-Mitglieder verlangt der Umweltminister Mitspracherecht. Zusätzlich zur ZKBS will Töpfer eine bundeszentrale „Fachbewertungsstelle für die Risikobewertung und Risikovorsorge“ einrichten. Der stark gekappten Öffentlichkeitsbeteiligung, stimmt der Umweltminister jedoch zu.

Manfred Kriener