Überwachung wird teilprivatisiert

Eilverfahren im Bundestag: Reform der Poststruktur / Überwachung soll auf die neuen Kommunikationstechniken ausgedehnt werden / Hilfe für den Verfassungsschutz auch von Privatfirmen / Gesetzesnovelle soll noch in neue Poststruktur integriert werden  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der „große Bruder“ rüstet nach. Mit der Reform der Poststruktur soll nun auch die Überwachung teilprivatisiert werden. Weil die Bundesregierung befürchtet, daß sich der „internationale Terrorismus“ der Kommunikationsmittel von Privatanbietern bedienen könnte, müssen die Firmen künftig dem Verfassungsschutz zur Hand gehen. Gleichzeitig sollen die Überwachungsmöglichkeiten auf die neuen Techniken der Kommunikation ausgedehnt werden.

Im Eilverfahren befaßte sich der Innenauschuß des Bundestags gestern auf einer Sondersitzung mit der Änderung der Strafprozeßordnung und des sogenannten „G-10-Gesetzes“: Dieses Gesetz aus dem Jahre 1968 schränkt das Postgeheimnis

-Artikel 10 des Grundgesetzes - ein. Bisher war jedoch nur der Monopolist Bundespost verpflichtet, den Geheimdiensten bei der Überwachung zuzuarbeiten.

Nach der jüngsten Vorlage der Koalitionsparteien müssen nun private Anbieter „Personal bereithalten“, das vom Verfassungsschutz überprüft ist und verpflichtet wird, den Geheimdiensten Auskünfte zu geben, Briefe auszuhändigen und Aufzeichnungen zu ermöglichen. „Da die Verpflichtung privater Betreiber zur Mitwirkung bei Überwachungsmaßnahmen ohne eine Sanktionierung nur schwer durchsetzbar“ wäre, wie der Entwurf vermerkt, droht den Firmen ein Bußgeld von 30.000 Mark, wenn sie nicht mitmachen.

Gleichzeitig wird die legale Überwachung auf mobile Funkrufdienste, Autotelefone, Satellitenfunkanlagen und private Telekommunikation ausgedehnt, denn mobile Funkrufdienste „eignen sich generell zur konspirativen Kommunikation“, und überhaupt müsse das Entstehen von „Nischen“ verhindert werden, „in die die organisierte Kriminalität und der internationale Terrorismus ausweichen können“. Eine zunächst unscheinbar wirkende Änderung des G -10-Gesetzes wird den „großen Bruder“ auf den neuesten Stand der Technik bringen: Bisher durften die Geheimdienste Briefe öffnen, Fernschreiben mitlesen und den Fernmeldeverkehr „abhören und auf Tonträger aufnehmen“.

Diese letztere, antiquierte Formulierung wird nun ersetzt durch „überwachen und aufzeichnen“: Damit können die Möglichkeiten der neuen ISDN-Technik (Integrated Service Digital Network) voll ausgeschöpft werden - der Verfassungsschutz braucht sich nicht mehr die Gespräche von Herbert Mies mit seiner Schwiegermutter anzuhören, sondern kann sich per Knopfdruck einschalten, wenn der Computer signalisiert, daß der Anruf aus Moskau kommt. Außerdem steht jetzt zu befürchten, daß sämtliche Übertragungen von Informationen und Daten dem Zugriff des „Großen Bruders“ anheimfallen - er guckt in die Tele-Kopie wie in die Mail -Box.

Die Bundestags-Grünen werteten die Vorlage gestern als „absolute Ungeheuerlichkeit“. Angesichts der Expansion des privaten Medienmarkts würden die neuen Überwachungsmöglichkeiten „ein verheerendes Ausmaß“ erreichen, meinte die Abgeordnete Marie-Luise Schmidt, grünes Mitglied des Innenausschusses. Bisher gibt es nach Schätzungen von Experten pro Jahr rund 950 angeordnete „G-10 -Maßnahmen“, also Überwachung von Post und Telefon.

Die Bundesregierung hatte es so eilig, die Gesetzesnovelle noch auf den letzten Drücker in die Beratungen zur Poststruktur hineinzubekommen, daß das Postministerium keinen eigenen Entwurf vorlegte, sondern sich hinter einem „Antrag“ der Koalitionsparteien CDU/CSU und FDP verschanzte, der dem Innenausschuß am späten Mittwoch abend zugestellt wurde. Dadurch soll die parlamentarische Beratung im Schnellverfahren erledigt werden - auf die Datenschützer kommt Arbeit zu.