Einem Vergewaltiger gegenüber sitzen

■ Gespräch mit der Therapeutin und Bremer Diplom-Psychologin Barbara Koch

Die Dipl.-Psychologin Barbara Koch hat an der Volkshochschule den zweijährigen Lehrgang „Therapeut/in für sexuelle Delinquenz und sexuelle Störungen“ koordiniert. Zur Zeit arbeitet sie in der „Forensik“, der durch Gitter gesicherten Abteilung für gerichtsmedizinische Psychiatrie im Krankenhaus Bremen-Ost. Zu ihrem Arbeitsbereich gehören therapeutische Gespräche mit Männern, die Vergewaltigungen begangen haben und denen Gutachter „tiefgreifende Persönlichkeitsstörungen“ bescheinigten.

taz: Vor einigen Tagen hat der Bremer Strafverteidiger Joester den Begriff des „Gelegenheitsvergewaltigers“ geprägt, der nicht therapiebedürftig sei, im Gegensatz zu dem krankhaften, perversen Täter. Was sagst Du zu dieser Unterscheidung?

Barbara Koch: Mit dem Begriff „Gelegenheitsvergewaltiger“ kann ich überhaupt nichts anfangen. Das ist ja nicht wie im Kaufhaus, wo man einen guten Gelegenheitskauf macht.

Ich gehe immer davon aus, daß mit einer Vergewaltigung der Versuch gemacht wird, einen psychischen Konflikt zu lösen. Es ist höchstens vorstellbar, daß bei bestimmten Männern mehrere Faktoren zusammenkommen, die dann die Hemmschwelle herabsetzen.

Ziehst Du selbst Grenzen zwischen Vergewaltigern?

Ja, aber andere. Es gibt Fälle, in denen nimmt das sexuell abweichende Verhalten einen sehr großen Raum ein in der Persönlichkeit eines Delinquenten. Seine Persönlichkeit ist tief gestört.

Und es gibt Fälle, da begeht ein Mann eine Vergewaltigung in einer psychischen Konfliktsituation und lebt ansonsten eine „normale“ Sexualität - chauvinistisch oder nicht -chauvinistisch - jedenfalls ohne daß der Partnerin etwas auffallen muß. Hier muß ich mit der Behandlung anders ansetzen und fragen: Warum geschieht so eine Katastrophe in einer ganz bestimmten Krise?

Du hälst also alle Vergewaltiger für behandlungsbedürftig?

Genauso wie man bei einer neurotischen Störung keine eindeutige Grenzlinie ziehen kann, geht das bei sexueller Deviation. Jemand mit einer schweren Depresssion ist ja nicht deshalb leichter zu behandeln, weil es ihm schlechter geht und umgekehrt. Das kann man nicht am Delikt festmachen oder am Störungsbild, sondern nur daran, ob jemand über kurz oder lang eine Motivation entwickelt zu einer Therapie.

Hat Vergewaltigung für Dich gar nichts mit männlichem Chauvinismus zu tun?

Es wird häufig gesagt, der Vergewaltiger sei der Prototyp des Chauvinisten. Aber er ist, wenn überhaupt, nur die Karikatur eines Chauvinisten. Das ist wie ein Anzug, in dem er zeigt: Ich bin mächtig, ich kann ja diese Frau vergewaltigen. Das Verhältnis zwischen alltäglichem Chauvinismus und einer Vergewaltigung ist kompliziert.

Nun ist Therapie gemeinhin etwas für die bürgerliche Mittelschicht und freiwillig. Wie arbeitest Du hinter Gittern?

In der Forensik haben wir es in der Regel nicht mit Patienten zu tun, die von sich aus eine Therapie machen wollen. Oft kostet es erstmal viel therapeutische Arbeit, daß die Klienten merken, daß ihre Tat etwas mit ihnen, mit ihrer Geschichte zu tun hat.

Diese Klienten können nicht selbständig leben. Das Ziel ist, daß sie nicht mehr eingesperrt sein müssen und unter Umständen in eine beschützte Umgebung wechseln können. Nach einer langen Therapiedauer besteht die Chance, daß diese Menschen nicht mehr so schlimme oder überhaupt keine Straftaten mehr begehen.

Diese Klienten sind häufig im Grunde - auch wenn es sich paradox anhören mag - schüchtern, ängstlich und aggressionsgehemmt. Im sexuellen Delikt liegt die ganze Wucht von den Aggressionen, die auf vernünftigem Weg nicht rausgekommen sind. Diese Leute haben Lebensgeschichten: Verhauen vom besoffenen Vater, als Kleinkind ausgesetzt... Das kann man sich gar nicht ausdenken.

Nun haben auch andere Gewalttäter aggressive Durchbrüche, aber bei Sexualdelikten kommt eine Unsicherheit in der geschlechtlichen Identität hinzu: daß derjenige sich in der Position des Mannes gar nicht sicher fühlt, daß er nicht in der Lage ist, normale sexuelle Kontakte zu pflegen.

Aber diese Männer haben doch einen wahnsinnigen Frauenhaß!

Hier muß man fragen, woher der kommt. Viele Klienten haben die unbewußte Vorstellung, daß von Frauen eine Bedrohung ausgeht, daß sie untergebuttert, gekränkt werden, bis hin zu der Angst vor Vernichtung.

Hast Du eigentlich keine Angst, wenn Du so einem Mann gegenübersitzt?

Ich arbeite gerne mit denen. Das macht mir Spaß. Einmal aus den Gründen, die bei Therapien immer reizvoll sind: neugierig zu sein, den Geheimnissen auf die Spur zu kommen.

Und dann sehe ich den Patienten nicht nur als Täter. Ich kriege einen Bezug zu dem Teil von ihm, der nicht nur Haß ist. Aber irgendwann muß in der Therapie natürlich der Haß zur Sprache kommen, gefühlt werden. An diesen Punkt bin ich aber bisher erst funkenweise gekommen.

Wie siehst Du Deine Situation als Frau, als Therapeutin?

Eventuell gibt es noch einen Reiz, den eine solche Therapie -Situation ausmacht, aber darüber bin ich mir noch nicht im klaren: Ich bin in der Therapie mit dem Klienten in einer Situation, in der ich nicht das Opfer bin. Sondern als Therapeutin bin ich in einer starken Position. Und auch in dem Moment, in dem ich die Gefühle des Hasses und des Vergewaltigt-Werdens zu spüren kriege, bin ich nicht in einer Situation, in der ich vergewaltigt werde.

Und dann gibt es auch noch die Kehrseite des Hasses: den massiven und schwer enttäuschten Wunsch, gewollt zu werden, geliebt zu werden. In den Therapien habe ich es sehr stark mit diesen Wünschen zu tun. Es ist schön, wenn man bei Leuten, die ja unter Zwang behandelt werden, die eingesperrt sind, merkt: Die kommen gerne, die reden gerne.

Interview: Barbara Debus