„Der Schwung der frühen Siebziger“

■ SPD-Parteitag eröffnet / Junge Union demonstrierte mit geklauten KPD-Parolen

Dem langanhaltenden Beifall nach zu urteilen, den Walter Momper bekam, als er gestern abend auf dem Parteitag der SPD das Redepult betrat, waren die Genossen zufrieden damit, wie ihr Chef die Verhandlungen mit der AL angeführt hatte. Dabei hatte es im Vorfeld und am Rande durchaus herbe Kritik gegeben, insbesondere an der Ressortaufteilung. Die Frauen waren enttäuscht darüber, daß nicht eine Sozialdemokratin die Frauenbelange als Staatssekretärin vertritt, sondern eine AL-Senatorin. Die zahlreiche Lehrerschaft in der Partei äußerte ihren Unmut darüber, daß das Schulressort an die AL gegangen ist.

Gekommen war das Parteivolk jedenfalls zahlreich. Und nicht nur das, die Junge Union begrüßte die Delegierten bereits am Eingang mit Transparenten mit ausgeliehenen Parolen der KPD: „Wer hat uns verraten - Mompers Sozialdemokraten“. Später traten sie auch in den Saal und ließen ganz in außerparlamentarischer Manier ein Band mit der Aufschrift „Lügen haben kurze Beine - kürzer sind dem Momper seine“ von der Balustrade flattern.

Die AL zeigte sich zahlreich in Gestalt des Pressesprechers, des Fraktionsgeschäftsführers, einer Abgeordneten und mehrerer Mitglieder. Zahlreich waren auch die sozialdemokratischen Polizisten erschienen, inklusive des Landespolizeidirektors Manfred Kittlaus.

Walter Mompers Rede enthielt zunächst nichts darüber hinaus, was er nicht schon öffentlich geäußert hätte. Nach einer kurzen Wahl-Analyse - enttäuschte Wähler haben den Senat abgewählt und wollten eine neue Politik - nach dem Abwehren der „Wortbruch-Vorwürfe“ von seiten der CDU, faßte er kurz das gemeinsam verabschiedete Sachprogramm mit der AL zusammen. „Das Programm“, fand der zukünftige Regierende, knüpfe „an den Reformschwung der frühen siebziger Jahre an“. Mit diesem Programm sei „die richtige Weichenstellung für eine großstädtische Politik“ geschaffen, die in das nächste Jahrtausend weise.

Trotzdem warnte Momper auch vor allzu großem Optimismus. Der vorgefundene Problemberg sei groß und die Spielräume klein. Die Verhandlungen seien schwierig und hart gewesen, und auch er sei schon mal grob geworden. Zum Schluß gab Momper, zwei Tage nach dem Frauentag, verbale Blumen für die Damen aus und versuchte, sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, das Ressort Frauen an die AL abzugeben. Die eigentliche Bewährungsprobe, warnte Momper, läge jedoch in der politischen Praxis der „vor uns liegenden Zeit“. Die Aussprache über die Rede hatte bei Redaktionsschluß noch nicht begonnen.

rihe