„Wer fürchtet sich vorm blauen Mann?“

Österreichs FPÖ will morgen die ÖVP als Volkspartei überrunden / Eine „moderne“ rechtsextreme Partei reitet auf der Krise der Modernisierung  ■  Von Martina Kirfel

Oberdrauburg (taz) - „So eine Menschenmenge gab's in Oberdrauburg noch bei keiner politischen Veranstaltung“, sagt eine Rentnerin. Mehr als dreihundert Menschen drängen sich im Saal des Gasthofs Pontiller. Sie warten auf Jörg Haider, Chef der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs), die Deutschnationalen, Alt- und Neonazis und rechte Yuppies in einem modernisierten Rechtsextremismus vereint. Die Oberdrauburger Trachtenkapelle hat sich vor einem FPÖ-Plakat postiert: „Alles spricht für uns!“ wirbt Haider, den manche Fans „HJ“ nennen. „Der Jörg ist ein Mann zum Träumen“, sagt dieselbe Rentnerin vom Nebentisch. „So jugendlich, so ehrlich“, fügt sie hinzu.

Jetzt betritt der Mann den Saal, der nicht nur alte Damen zum Träumen bringt, sondern die beiden österreichischen Großparteien SPÖ (Sozialistische Partei Österreichs) und ÖVP (Österreichische Volkspartei) in Schrecken versetzt. Er ist angetreten - in den drei Bundesländern Tirol, Salzburg und Kärnten, in denen morgen gewählt wird -, um altangestammte absolute Mehrheiten zu sprengen. Sein Ziel ist außerdem, die „Großpartei“ ÖVP nach Prozenten zu überrunden, und die rechtsextreme FPÖ zu einer „Mittelpartei“ zu machen. Dies wäre im Nachkriegseuropa eine historische „Wende“.

Die Kapelle spielt einen Marsch. Haider hat das Podium erreicht und schlägt den Marschtakt mit. An der Saaltür postiert sich die FPÖ-Wahlcrew, die im weißblauen Adidas -Outfit an eine Olympiamannschaft erinnert. Die Kapelle erhält den üblichen Obolus. Applaus! Meinungsumfragen prognostizieren hier in Kärnten 25 bis 30 Prozent für die FPÖ, nur 23 Prozent für die ÖVP und 48 Prozent für die SPÖ, die damit ihre seit 1945 behauptete absolute Mehrheit verlieren würde. Dann wäre eine schwarz-blaue Koalition mit Haider als blau-braunem Landeshauptmann denkbar. Die Wiener SPÖ/ÖVP-Koalition könnte gefährdet sein und mit ihr ÖVP-Chef Alois Mock.

Die Musik spielt noch einmal auf - „Jörg“ hat sich einen Marsch gewünscht, der ins „Deutschlandlied“ übergeht, ein Schmankerl für die Deutschnationalen im Saal. Haider, der unlängst die österreichische Nation als eine „ideologische Mißgeburt“ bezeichnet hat, greift zum Mikrofon: „Schluß mit der Selbstgefälligkeit der SPÖ-Funktionäre, Schluß mit der Parteibüchl-Wirtschaft, Schluß mit der Balkanisierung des Landes.“ Den Kärntnern klingeln die Ohren. Hier spielt Haider auf ein typisches österreichisches Ressentiment gegen den „Osten“, den „Balkan“ an. Er appelliert unterschwellig an alle die Kärntner, für die die slowenische Minderheit einen „ungelösten Problemfall“ darstellt. „Die haben die schönsten Schulen“, erklärt mir jemand, und ihr Slang würde „zu einer Verschlechterung der deutschen Sprache bei den deutschen Schulkindern führen“. Allen voran rühmt sich Haider, die Trennung „deutscher“ und slowenischer Kinder in den Südkärntner Schulen gefordert und durchgesetzt zu haben. Die Entscheidung für Kärntner Apartheid wurde übrigens von allen Parteien im Landtag mitgetragen.

„Schluß mit Korruption und Mißwirtschaft“, fordert Haider kurz darauf. Er selbst gehört zu den hundert größten Großgrundbesitzern des Landes und war gerade ins Gerede gekommen, weil er für seinen 1.565 Hektar großen Besitz Bärental angeblich zu wenig Steuern zahlt. Diese Enthüllung hat „Jörg“ nicht geschadet. Und der Fakt, daß es sich dabei um „arisierten“ Besitz handelt, hat die österreichische Öffentlichkeit noch nie besonders erregt. Nach wie vor gelingt es ihm, alle diejenigen auf seine Seite zu ziehen, die seit Jahren mit der Politik der „Großparteien“ unzufrieden sind. Die Lager von SPÖ und ÖVP sind erodiert, die Wählerfluktuation hat sich drastisch erhöht. Bei den Nationalratswahlen 1986 zum Beispiel entschied sich jeder zweite Haider-Wähler - landesweit erzielte Haider damals 9,7 Prozent - erst in den letzten zwei Wochen. Für diese Spätentscheider hat Haider heute Kreide gefressen. Deutschnationale Untertöne - abgesehen von der Hymne bleiben aus. Keiner ruft „Sieg heil“ oder fordert die Vergasung politischer Gegner wie 1986 bei der Wahl Haiders zum Obmann der Partei.

Doch das deutschnationale und faschistoide Wählerpotential der FPÖ wird nicht vergessen. Für einen Eklat hatte gerade die Veröffentlichung des „Kärntner Grenzlandbuchs 1989“ gesorgt. In diesem Sammelband wird Hitler in Beiträgen von FPÖ-Ideologen mehrfach positiv erwähnt und das „Weltjudentum“ - verbrämt als eine „Handvoll Geldleute, die die Geschicke der ganzen Welt bestimmen“ - wie in „Mein Kampf“ als Ursache aller Krisen ausgewiesen.

Die Kärntner ÖVP und sogar die SPÖ haben sich nicht entblödet, ein Vorwort zu diesem Machwerk zu liefern: Eines der vielen Beispiele dafür, daß Haiders Partei, im Gegensatz zur „Front National“ in Frankreich oder zu den „Republikanern“, gesellschaftlich vollkommen integriert ist. Sowohl SPÖ als auch ÖVP haben in der jetzigen Situation eine Koalition mit der FPÖ nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Auf die Frage, ob die SPÖ, die erst vor wenigen Jahren mit der FPÖ koaliert hatte, dazu heute noch bereit sei, antwortete SPÖ-Kanzler Vranitzky: „Kein Kommentar!“ Wenig Berührungsängste also mit einer Partei, die 1955 von österreichischen Nazis mit deutschnationalem Programm gegründet worden war, die 1965 noch mehrheitlich großdeutsch dachte und den Begriff der „österreichischen Nation“ daher ablehnte, die Kontakte zu Le Pen pflegt. Auch mit Schönhuber hat sich Haider getroffen: „Ich hab‘ ihn ja nur einmal getroffen, ich kenn‘ ihn gar nicht; so ein alter Herr mit grauem Haar.“

Im Oberdrauburger Gasthof werden die Leut‘ immer lustiger. Haider würzt seine Pauschalangriffe mit Anekdoten, G'schichtln aus dem Kärntner Land, und hat die Lacher immer auf seiner Seite. Der agile 39jährige, braungebrannt, sportlich, mit obligatorischem blauen Schal, wird nur einmal ausfällig und teilt einem der wenigen politischen Gegner im Saal blitzschnell einige Schläge unter die Gürtellinie aus. Danach muckst keiner mehr. Für seinen Führungsstil ist Haider berüchtigt. Nach dem Vorbild Le Pens hat er seit 1986 bereits mehrere Säuberungen in der FPÖ durchgeführt, nachdem ein Großteil des „liberalen“ Flügels von selbst aus der Partei ausgetreten war. Angriffe gegen die FPÖ münzt Haider geschickt zum eigenen Machtgewinn um.

Für sich selbst beansprucht er eine „Generalkompetenz“ und versucht so, die FPÖ in eine modernisierte Führerpartei umzubilden. Kein Wunder, daß die internationale Liberale gegen Haider erneut Ermittlungen angekündigt hat und einen Ausschluß der österreichischen Blauen in Erwägung zieht. Auffällig ist, daß die bundesdeutsche FDP sich - im Gegensatz zu den Liberalen in der Schweiz und in Holland bisher nicht öffentlich gegen die rechtsextreme Schwesterpartei engagiert hat.

Worauf beruht der fast unheimliche Erfolg der FPÖ? - „Die wenig haben, denen nimmt man's weg, die viel haben, kriegen mehr“, verkündet Haider vom Podium. Das gefällt den Kärntner Bauern. Ihre Einkommen liegen um fast 15 Prozent unter dem Landesdurchschnitt der Landwirte, viele müssen „auspendeln“. In Kärnten sind die Folgen der Modernisierung unübersehbar, ein wichtiger Grund für das Aufbrechen der traditionellen Lager. Ganze Täler sind vom Transitverkehr gestört, in vielen kriselt der Tourismus, während an anderen Stellen Tradition und gewachsene Strukturen im Massentourismus ersticken. Haider fasziniert die „kleinen Leut'“, viele seiner Wähler sind Arbeiter, kleine Angestellte und niedrigverdienende Beamte in den Krisengebieten der letzten Industrialisierungswelle. Doch beruht der Erfolg der FPÖ nicht einfach auf materiellen Ängsten. Das Wählerpotential liegt quer zur Einkommenshierarchie: „Wir müssen zu unserer Vergangenheit stehen“, sagt ein junger Haider-Fan im Kärntner Anzug. Der Befragte ist Jungunternehmer aus dem benachbarten Kötschach und beschäftigt 120 Leute. „In Kärnten gab es in jeder Familie Nazis. Ich werde doch nicht gegen meinen Großvater sein!“ fügt er hinzu. Er gehört zur Gruppe der Jungwähler - 30 Prozent der „Jörg„-Jünger sind unter 30 - und zugleich zu einer anderen Fan-Gemeinde, den Yuppie-Karrieristen, die Haider zusammen mit einer großen Anzahl gutverdienender Österreicher zu seinen Wählern zählt. 25 Prozent der Wiener Zweitwohnungsbesitzer zum Beispiel stimmten 1986 für „Jörg“.

Haider profitiert von der materiellen und kulturellen Krise der Modernisierung. Damit ist die FPÖ zu einer „modernen“ rechtsextremen Partei geworden, deren Wählerpotential weit über die alten Nazis hinausgeht. Sie ist „moderner“ als SPÖ und ÖVP, da sie gerade die neuen Mittelschichten der Informationsgesellschaft erreicht (Gallup-Umfrage). Sie könnte ein Modell für Europa sein. „Wer fürchtet sich vorm blauen Mann?“ hatte ein Haider-Fan in Oberdrauburg in den Saal gerufen. Noch ist ein Lacher die Antwort auf diese Frage.