Für Frauen nur Defizite bei der Rentenreform

Interview mit Inge Wettig-Danielmeier, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, zur großen Koalition zwischen SPD und CDU in der Rentenfrage: „Allenfalls ein erster Schritt einer weitergehenden Reform“  ■ I N T E R V I E W

taz: Gestern fand im Bundestag die erste Lesung der Rentenreform statt. Sind die SPD-Frauen mit dem Kompromiß zufrieden?

Inge Wettig-Danielmeier: Ich begrüße natürlich, daß der Blüm -Entwurf vom Tisch ist, denn da waren Frauen ungeheuer benachteiligt. Das hat die SPD abgewehrt. Aber das Problem ist, daß die strukturellen Defizite der Frauenrenten nicht in Angriff genommen worden sind. Das ist unsere Kritik an diesem Kompromiß, den wir deshalb allenfalls als ersten Schritt einer weitergehenden Reform ansehen können.

Welche Defizite sind das?

Frauen haben erstens erheblich niedrigere Einkommen. Zweitens werden Pflege und Kindererziehungszeiten nicht angemessen angerechnet. Die Altersgrenze wird für Frauen außerdem schon zu einem Zeitpunkt heraufgesetzt, wo die Kindererziehungsjahre noch lange nicht angerechnet werden. Wir haben einen Einstieg in eine eigenständige Rente verlangt. Das ist zwischen den Parteien überhaupt nicht ernsthaft diskutiert worden. Eine Grundsicherung, die über dem Sozialhilfesatz liegen muß, ist nicht in Angriff genommen worden. Und die Geringfügigkeitsgrenze (bei Einkommen bis zu 450 Mark) bleibt bestehen, obwohl dadurch viele Frauen ohne Rentenanspruch bleiben.

Selbst das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 1982 erklärt, daß für Frauen eine niedrigere Altersgrenze gerechtfertigt ist, solange die Frau im Berufsleben benachteiligt wird. Trotzdem hat die SPD diesem Kompromiß zugestimmt.

Wir kritisieren ja auch, daß die Altersgrenze heraufgesetzt wurde, ohne daß die strukturellen Benachteiligungen der Frauen in der Rente behoben wurden. Natürlich sind wir nicht prinzipiell dagegen, daß es für Frauen und Männer dieselbe Altersgrenze gibt. Aber es gibt diese Benachteiligung nicht nur für die 40jährigen,

sondern auch für die 20jährigen.

Herr Dreßler hat für die SPD die Verhandlungen geführt. Hat er denn die Interessen der Frauen ernsthaft genug vertreten?

Sicher hat er sein mögliches getan. Aber Betroffene sehen ja bekanntlich bestimmte Probleme eher und können vielleicht auch die Details besser einschätzen. Bei künftigen Verhandlungen dieser Art dürften also nicht nur Männer am Tisch sitzen.

Nun bin ich verwundert, daß die AsF-Frauen (Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen) ihre Kritik bisher nicht laut und deutlich vorgetragen haben.

Unsere Position ist vielleicht nicht so öffentlich geworden, aber wir haben alle Punkte gegenüber allen Parteien auch schriftlich vorgetragen.

Die SPD hat noch auf ihrem Parteitag im August die Grundsicherung beschlossen. Warum fiel das einfach unter den Tisch?

Es gibt Probleme, mit den anderen Parteien im Grundkonsens über die Perspektive der gesamten Rentensituation. Aber die SPD ist in ihren Beschlüssen darauf festgelegt, daß die Grundsicherung und die strukturelle Veränderung des Rentensystems zugunsten der Frauen auf der Tagesordnung bleibt.

Was heißt: auf der Tagesordnung?

Die SPD hat sich selbst verpflichtet, das Thema Renten sofort wieder aufzugreifen, sobald sie die Regierung stellt oder an einer Regierung beteiligt ist. Das ist in allen Beschlüssen so enthalten. Natürlich werden Beschlüsse nicht immer eingehalten, aber ich denke, in der SPD besteht der Konsens, daß eine neue Rentenreform kommen muß, auch wegen der Wertschöpfungsabgabe. Interview: Ursel Siebe