Hotel Astoria - Höchstmaß an Abschreckung

Das ehemalige Göttinger Hotel Astoria wird heute als Sammellager für AsylbewerberInnen genutzt / Bewohner versuchte sich das Leben zu nehmen, indem er das Mobiliar in Brand setzte / Hotelbesitzer verdient monatlich 3.000 Mark pro Zimmer  ■  Aus Göttingen Susanne Brahms

Rund 300 Menschen demonstrierten am Donnerstag in der Göttinger Innenstadt gegen die Lebensbedingungen im Asylantenwohnheim Hotel Astoria. Der Anlaß: Ein junger Libanese, Bewohner des Astoria, hatte versucht sich das Leben zu nehmen, indem er das Mobiliar in der Eingangshalle des Gebäudes in Brand setzte. Verantwortlich für diese Verzweiflungstat seien, so heißt es in einem Flugblatt der Demonstrationsveranstalter, die zuständigen Behörden. Diese seien immer wieder auf die „unerträglichen Zustände“ im Astoria hingewiesen worden, ohne aber einzugreifen.

Die DemonstrantInnen forderten eine Reduzierung der BewohnerInnenzahl des Astoria, die sofortige Unterbringung von Familien mit Kindern in der Stadt Göttingen und langfristig die Abschaffung von Sammellagern. Der Sozialausschuß der Stadt Göttingen, dem die Forderungen vorgetragen wurden, war „betroffen“ und versprach, „sich demnächst um die Sache zu kümmern“. Das Hotel selbst gehört in Göttingen zum Häßlichsten, was die 50er Jahre an Betonarchitektur hervorgebracht haben. Das ursprünglich als Hotel genutzte Gebäude wurde später zu einem Puff umfunktioniert, um schließlich zum sogenannten „Sammellager“ für Asylsuchende zu avancieren. Stilgerecht liegt das vierstöckige Gebäude mitten im Industriegebiet, zwischen Spedition und Tankstelle, kurz vor dem Autobahnzubringer. „Betonfassaden bröckeln nicht - ansonsten ist hier alles im Eimer, renoviert oder restauriert wurde schon lange nicht mehr“, erzählt Martin, einer der beiden Sozialarbeiter, die rund 150 BewohnerInnen aus über zwölf Nationen betreuen.

Wir stehen in der Eingangshalle, der „Rezeption“, aus der Zyniker tatsächlich noch den kühlen Charme der Nierentischzeit herauszulesen vermeinen. Die Eingangshalle ist durch einen Brand total verwüstet. „Letzte Nacht“, so Martin, „hat einer versucht sich umzubringen. Er hat ein Sofa angezündet und sich draufgelegt.“ Der Brand weitete sich aus und gefährdete schnell die übrigen BewohnerInnen, da es weder Feuerlöscher noch intakte Brandschutzgeräte gab. Der schmierige Ruß zog die Fluchttreppen hoch in die langen kahlen Flure und schwärzte die Wände bis in den dritten Stock. „Aus diesem riesigen Kamin wäre kaum einer lebend herausgekommen, aber es blieb, da das Feuer rechtzeitig entdeckt wurde, bei leichteren Verletzungen.“ Einige mußten mit Rauchvergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Daß weder die Sicherheitsvorschriften eingehalten geschweige denn sonstige Maßnahmen am Haus ergriffen wurden, hat seinen besonderen Grund. Das Gebäude ist auch heute noch in privater Hand. Der Besitzer macht seine Geschäfte mit der Braunschweiger Bezirksregierung und kassiert für jeden Asylanten zwischen 24 und 26 Mark pro Tag. Da Asylanten gesetzlich pro Kopf mindestens fünf und höchstens 7,5 Quadratmeter zur Verfügung stehen müssen, können die meisten Zimmer mit vier Personen belegt werden. „Das macht über 3.000 Mark pro Zimmer“, empört sich ein Bewohner, „die Berechnung orientiert sich an Mehlsäcken und nicht an Menschen.“ Der Vermieter ist auch für die sonstige Ausstattung zuständig: ein Staubsauger und zwei Waschmaschinen für das ganze Haus, für jeden ein Handtuch, ein Topf und eine Pfanne.

Den politisch Verantwortlichen ist es recht so. Schließlich soll ein Sammellager nicht einladend wirken - im Gegenteil: Es soll ein „Höchstmaß an Abschreckung garantieren“, wissen die Sozialarbeiter aus einschlägigen Papieren der Landesregierung zu zitieren. Und was in der Bundesrepublik garantiert wird, das wird mit Sicherheit gehalten. „Die Bewohner des Astoria steigen meist nicht an der Bushaltestelle vorm Haus aus, sondern nehmen eine davor. Sie schämen sich,“ erklärt Anwer, der zweite Sozialarbeiter.

Die BewohnerInnen haben gemeinsam mit den Sozialarbeitern immer wieder versucht, die Lebensverhältnisse im Astoria zu verändern - ohne Erfolg. „Häufig haben wir auf die psychischen Probleme hingewiesen. Die Leute kommen zum Teil aus dem Bürgerkrieg, haben Folter und Gefängnis erlebt.“ In der Bundesrepublik angekommen, hätten sie kaum eine Chance, ein „normales“ Leben zu führen, Wohnung, Arbeit oder Ausbildung zu finden. „Zu den Schikanen, denen sie hier ausgesetzt sind, kommt dann noch das Lager, was viele weiter destabilisiert.“ Eine angemessene Betreuung ist nicht zu leisten, soll auch nicht geleistet werden. „Die Verhältnisse werden willentlich mit kaltem Kalkül auf die Spitze getrieben“, die Sozialarbeiter fühlen sich zu ohnmächtigen Alibifiguren degradiert.

So ist der Selbstmordversuch mit Brandfolgen auch nur Ausdruck dieser Situation. „Es hätte jeder von uns tun können“, so ein Sprecher des Rates der Bewohner, „jeder bricht mal zusammen, so oder so.“ Der SprecherInnenrat solidarisiert sich „unbedingt“ mit dem „Brandstifter“. Er dürfe jetzt nicht für etwas herhalten, was vorprogrammiert war.