Die freudlose Kunst des Möglichen

■ Gestern im Morgengrauen gingen in Berlin die Ressortverhandlungen zwischen SPD und AL zu Ende

Eine historische Stunde, gestaltet als gehässiges Fingerhakeln. Die AL schied ernüchtert vom Ressortpoker und zählte 3,5 statt der geforderten vier, in der Verkehrspolitik ist sie nicht präsent. Am Wochenende werden AL-Mitgliederversammlung und SPD-Landesparteitag - im selben Gebäude tagend - das letzte Wort haben.

Kurz vor Mitternacht kam die Wende im Stellungskrieg um die Ressorts. Die große Verhandlungsrunde hatte eine Unterkommission geboren, die durch die vom Warten inzwischen aggressiv gewordenen Journalisten ins Separee huschten. Friedensverhandlungen? In der Tat hatte es bis dahin in der IG-Metall-Tagungsstätte fast eine Art kalten Krieg gegeben.

Auftakt zum Streit war die „Verfahrensfrage“ der Koalition. Bernd Köppl, AL-Abgeordneter, schlug sich für mehr Eigenständigkeit der Fraktionen. Genau das aber befürchtete die SPD. Sie hatte schon durchgesetzt, daß die von den Sachverhandlungen übriggebliebenen Dissenspunkte (z.B. Extremisten-Beobachtung durch den Verfassungschutz oder Kennzeichnungspflicht für Polizisten) nicht wieder als AL -Anträge im Abgeordnetenhaus eingebracht werden. Folgerichtig witterte jetzt die SPD, die Alternativen wollten „Opposition in der Regierung“ betreiben. Gleichwohl war Köppls Aufstand verständlich, denn die Fraktion wird angesichts der knappen Mehrheit der Koalition nicht viel zu sagen haben. Hinter der Regierung wird der Koalitionsausschuß regieren, in dem auch die AL -Parteiführung vertreten ist.

Als abends um acht Uhr zur Jagd auf die Ressorts geblasen wurde, kam der erste Schock. Mit Fassungslosigkeit und Kopfschütteln verabschiedeten sich die AL-Verhandler gleich wieder aus der Runde. Die SPD hatte ihnen nur zwei amputierte Ressorts angeboten. Der Schulsenat sollte Sport und Berufbildungsarbeit verlieren. Aus dem Umweltressort sollte die Entscheidungskompetenz über die Grünflächen, die sogenannte „Räumliche Entwicklungsplanung“, heraus und zum Bausenator geschoben werden. Vor allem aber lehnte die SPD das geforderte Frauenressort ab. Frau Korthaus, bewährte und durchaus konfliktbereite Vorkämpferin für Fraueninteressen bei der SPD, sollte Frauenbeauftragte werden, und zwar dem Regierenden Bürgermeister beigeordnet.

Die SPD rechtfertigte ihr dünnes erstes Angebot damit, daß die AL bislang sozialdemokratische Kompromißangebote im wesentlichen eingesteckt habe, um dann „draufzusatteln“. Dennoch, es war schlechter Stil. Die AL sprach auch gleich von „Tarifverhandlungen“. In der Kellerkneipe hörte man auch bei SPDlern die Meinung, wenn schon Rot-Grün, dann dürfe die AL nicht abgespeist, sondern müsse wirklich eingebunden werden und mindestens ein klassisches Ressort erhalten. Aber das allein denkbare Justizressort war für die SPD nicht verhandelbar: „Ein Ausbruch aus dem Tegeler Knast, und wir müssen den Senator opfern.“

Das erste Angebot hatte einen zynischen Charakter, denn Helga Korthaus war von der SPD als reine „Verhandlungsmasse“ eingeplant. Der AL-Frauenbereich sollte für seine Ziele das Frauenopfer annehmen. So kam es auch. Die SPD brütete zwei Stunden über ein „verbessertes“ Angebot. Es wurde schließlich der AL das erweiterte Ressort Frauen, Familie und Jugend (wie gefordert) offeriert. Dann mußte die AL noch einmal powern, um die zweite Staatsekretärin für Frauenfragen zu bekommen. Sieg also an der Frauenfront, aber ein fragwürdiger Sieg. Für ein Miniressort zwei StaatssekretärInnen, während es bei den wesentlich größeren und konfliktreicheren Ressorts bei einem Staatssekretär blieb. Die AL buchte jedenfalls Frauen, Familie und Jugend als eineinhalb Ressorts ab.

Nach diesem Angebot ging's ans Eingemachte, und die Delegationen nahmen immer häufiger „Aus-Zeiten“. Der Gegensatz lag auch sicher in den unterschiedlichen Verhandlungsstilen. Für die AL war die Ressortfrage im Grunde eher Abrundung der inhaltlichen Sachverhandlungen, während für die SPD die Sachverhandlungen nur Auftakt im Kampf um die Fürstentümer war.

Worum ging es: Einmal hatte die SPD große Angst, daß die AL in Scharmützel an falschen Fronten verwickelt wird. Ein AL -Senator verantwortlich für Sport - undenkbar: Berliner Sportvereine gehören zur Unterregierung in der Stadt. Wenn „Blau-Weiß“ unter einer AL-Senatorin aus der Fußball -Bundesliga absteigt, ist Rot-Grün schuld. Der künftige Bausenator ist in der Pflicht, 7.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen. Wenn die AL über Grünflächen entscheidet, hängt das Schicksal des Bausenators von Bürgerinitiativen ab, denn Nagel bekommt keine Grundstücke - so jedenfalls die Befürchtung.

Vor allem aber mußte der rechte Flügel eingebunden werden. Momper kann sich keineswegs sicher sein, daß alle SPD -Abgeordneten am kommenden Donnerstag bei der Senatswahl über die Senatoren wird in Berlin einzeln abgestimmt durchwählen. An Horst Wagner, Berliner IG-Metall Vorsitzender, der im Verdacht steht, seinerzeit den DGB-Chef Pagels dazu gebracht zu haben, Momper als „für Arbeitnehmer nicht wählbar“ zu bezeichnen, führte kein Weg vorbei. Für die AL ging es darum, entweder ein „Querschnittressort“ zu bekommen oder ein Ressort, „in dem man gestalten kann“. Ein um die Raumentwicklungsplanung („REP“) amputierter Umweltsenat war nicht akzeptierbar, vor allem aber mußte allein schon für die vielen aktiven Verkehrsinitiativen, unverzichtbare Klientel der AL, das Verkehrsressort heimgeführt werden. Beim Umweltsenat zeichnete sich schließlich die Einigung ab. Die „Räumliche Entwicklungplanung“ verbleibt beim Ressort. Nagel sichert sich den Einfluß durch eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe unter der Federführung der SPD. Bei der Energieaufsicht erhält Umwelt das Recht zum Gegenzeichnen. Ein Kompromiß, der sicherlich kaum Begeisterung bei beiden Seiten auslöst. Wie Nagel, von Haus aus eher traditioneller Machtpolitiker, die riesige Neubaumasse mit einer baupolitischen Wende verbinden wird, steht in den Sternen. Inzwischen sind nach einem Jahrzehnt CDU die Grundstücke in Privathand, und die privaten Träger, die Großspekulanten beherrschen das Terrain. Neue Baupolitik hieße neue Bauträger, neue ökologische Baumethoden und eine neue Bauförderung.

Zum Konflikt Beton gegen Argument wurde aber dann die Frage der Verkehrsplanung - Schlüsselressort für das rot-grüne Programm, das schließlich den Vorrang des Fußgängers gegenüber dem Auto, Ökologie gegenüber dem ADAC festlegt. Die AL hoffte - als Kompromiß - Verkehr und BVG dem linken Sozialdemokraten Meißner zuschieben zu können. Um zwei Uhr nachts stimmte die SPD zu. Aufatmen bei der AL. Da aber kam die Viertelstunde von Horst Wagner. Er warf wutentbrannt das ganze Gewicht des rechten Flügels in die Waagschale. Die SPD machte prompt einen Schritt zurück: Wagner bekam das Superressort Verkehr, Arbeit und Wirtschaft. Was er mit seiner Macht mit dem Koalitionspapier machen wird, steht in den Sternen. Die AL hat jedenfalls keinen Einfluß auf die Verkehrsplanung und kann nur hoffen, daß die Koalitionsvereinbarung bindend genug ist.

Um drei Uhr kam der Kreuzberger AL-Abgeordnete Werner Hirschmüller mit zwei Kisten Sekt und erlöste die Runde von Knackern, Bouletten, Bier, Kaffee und Cola. Einige ALer zogen es jedoch vor, auf den Sekt zu verzichteten.

Klaus Hartung