: „Selbst entscheiden“
■ taz-Gespräch mit zwei Verantalterinnen der 7. Bremer Frauenwoche, Brigitte Scherer und Angela Timm: Bedürfnisse nach Beratung differenziert aufgreifen
taz:Wenn Ihr nach einer Pause von drei Jahren mit der Gen und Reproduktionstechnologie das Thema der Frauenwochen von '84 und '85 wieder aufgreift, was habt Ihr Euch dabei gedacht?
Angela Timm: Wir haben geguckt, was im Moment wichtig ist. Und da war die Verhaftung von Ingrid Strobl und Ulla Penselin, und in der Gen- und Reproduktionstechnologie passiert unheimlich viel, auch mit der Freisetzung der Viren, ohne daß sich an Richtlinien gehalten wird. Da müssen wir einfach auf dem laufenden sein und dazu Stellung nehmen.
Brigitte Scherer: An dem Zugriff auf den weiblichen Körper läßt sich z.B. unheimlich viel verdeutlichen, was in unserer Gesellschaft an Strukturen der Beherrschung und Ausgrenzung im Geschlechterverhältnis vorhanden ist. Das Thema eignet sich, grundsätzlich politische Verhältnisse zu diskutieren und trotzdem am Thema zu bleiben.
Warum knüpft Ihr eigentlich so wenig an an die Tradition von '84 ff. an? Damals hat z.B. die Maria Mies zum Boykott von gentechnologisch produzierten Produkten aufgerufen. Warum habt Ihr die nicht eingeladen, damit man sehen kann, was ist mit diesem Aktionsaufruf, wie sinnvoll ist der noch. Claudia Kappen, die selber an einem gen-technologischen Forschungsinstitut arbeitet, Sarah Jansen, damals Expertin bei
den Grünen, was vertreten die eigentlich heute, warum habt Ihr die nicht eingeladen?
Angela Timm: Wir haben die eingeladen wie alle Frauen, von denen wir wissen, daß sie auf dem Gebiet arbeiten. Das Problem bei Maria Mies und anderen ist, daß gleichzeitig zu diesem Zeitpunkt eine Tagung von Finnrage (Intern. Frauennetz gegen Gen- und Reproduktionstechnologie) ist. Wir finden das auch schade, daß die nicht da sind.
Brigitte Scherer: Nicht zu Maria Mies‘ Boykottaufruf, aber zu ihren Ideen vom Ökofeminismus gibt es Veranstaltungen.
Im Programm fehlt mir, was sich außerhalb der Frauenbewegung seither in der Politik und in der Forschung getan hat. Also, ich habe Angst, daß man wissenschaftskritisch über etwas reden wird, von dem man wieder nicht weiß, was das im Jahre '89 konkret ist.
Brigitte Scherer:Da würde ich ein bißchen differenzieren. Im Bereich der Reproduktionsmedizin und Fortpflanzungstechnologie, da weiß ich einfach, daß viele Frauen direkt aus der Arbeit kommen, Hebammen oder Gynäkologinnen, und aus der aktuellen Praxis berichten, von der Amniozentese und der Entwicklung. Und im Bereich der Reproduktionsmedizin sind die neuen Forschungstrends auch abgedeckt. Das ist vielleicht weniger so im Bereich
der Gen-Technologie - aber das spiegelt wider, daß sich Frauen überwiegend um den Reproduktionsbereich kümmern, während Gen-Technologie zunächst abstrakter und weiter weg ist.
Eigentlich kommt keine vor, die zu den Befürworterinnen zählt. Daß man so im eigenen Mustopf sitzen wird.
Brigitte Scherer: Dagegen sein und nicht dagegen... Also, was wir schon haben, ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Positionen, nicht als Befürworterinnen, aber eine Auseinandersetzung um eine differenzierte Betrachtung. Z.B. in der Fortpflanzungsmedizin gibt es sicher eine Auseinandersetzung darüber: Was ist für uns gut? Was ist nicht für uns gut? Nicht quasi eine plumpe Technikfeindlichkeit von vornherein. Die Frauen, die kommen, sind ohnehin schon etwas kritisch der ganzen Technologieentwicklung gegenüber, also, da ein Feindbild zu präsentieren, dem gegenüber wir als die Guten davonkommen, das nützt uns wenig.
Das ist aber eine Tendenz gewesen. Ich fände das schlecht, wenn die Frauenwoche ein Forum wäre für die Frauen, die ohnehin wissen, daß die Gen-Technologie des Teufels ist und die nicht in der Situation sind, daß sie ein Kind kriegen oder daß sie eben keins kriegen können. Und die andern tappen zur humangenetischen Bera
tung oder zur In-vitro-Befruch tung ohne Wenn und Aber.
Brigitte Scherer: Aber genau das ist ein ganz wichtiger Punkt in der Frauenwoche, der aufgegriffen wird. Frauen im Frauengesundheitszentrum oder wie Eva Schindele versuchen gerade, Bedürfnisse nach Beratung, auch über Amniozentese, differenziert aufzugreifen. Und zwar wirklich erstmal mit einer Haltung: Die müssen entscheiden. Und wir können denen nicht vorher schon sagen: Wenn Du Dich für eine Amniozentese entscheidest, bist Du schlecht. Wenn wir so tun, als wäre das für uns alles so klar, machen wir auch eine Projektion, verleugenen wir auch unsere eigene Angst vor Behinderung. Und in dieser Gesellschaft geht niemand widerspruchsfrei damit um. Die Widersprüche anzuerkennen, auch als eigene, und sich damit auseinander zu setzen, das ist Ziel zumindest einiger Veranstaltungen. Und das halte ich auch letztendlich für sehr politisch. Das gibt einen anderen Handlungsspielraum, auch wenn es zunächst mal so scheint, als würd's einen lähmen. Weil in der Bearbeitung der eigenen Widersprüche andere Handlungen möglich werden als nur immer so stringent: Da muß ich gegen sein, das muß ich aufrecht erhalten als Front. Ich glaube, da sind wir gar nicht so ausgrenzerisch.
Interview: Uta Stolle
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