„Tötung ist das geringere Übel“

taz-Gespräch mit Dr. Albrecht und Prof. Schloot vom Zentrum für Humangenetik / „Was wir machen, ist eugenisch nicht wirksam“ / 5% genetisches Grundrisiko für jede Schwangere / Daß behinderte Kinder ausgetragen werden, ist „extrem selten“  ■  Hier das Logo

Räumlich kaum entfernt von der 7. Bremer Frauenwoche, bei der es kritisch um und gegen Gentechnologie geht, arbeitet das „Zentrum für Humangenetik und humangenetische Beratung der Universität“. Die taz sprach mit dem Leiter des Zentrums, Professor Werner Schloot, promovierter Naturwissenschaftler und habilitierter Humangenetiker, und mit Dr. Regina Albrecht, Ärztin in der Humangenetischen Beratungsstelle.

Prof. Werner Schloot

taz: Machen Sie hier Gentechnik?

Wir machen Forschung, Lehre und Krankenversorgung. Ich verstehe unter Gentechnologie, daß man in ein Lebewesen ein Gen überrägt und daraus ein neues Wesen macht. In dem Sinne passiert bei uns nichts. Wir forschen über Tumore, Arzeneimittel-Stoffwechsel, wir diagnostizieren Gewebeproben...

Was passiert in der humangenetischen Beratungsstelle?

Leute mit einem schwer fehlgebildeten Kind wollen wissen: Ist das genetisch, und wenn: Wie groß ist das Wiederholungsrisiko? Oder: das Fehlbildungs-Risiko bei Medikamenten, Alkohol oder Röntgenstrahlen während der Schwangerschaft. Oder: Bei der Geburt sieht das Kind aus wie

mit dem Down-Syndrom, also Mongolismus. Aber es könnte auch ein Alkohol-Mißbrauch sein. Eine Chromosomen-Analyse kann das klären - das ist eine Grundentscheidung für den behandelnden Arzt. Und dann die pränatale - die 'schreckliche‘ - Diagnostik. Frauen ab 35 haben ein höheres Risiko. Wir analysieren das und erklären in der genetischen Beratung, was das ist, und sie entscheiden dann, bis zum Ablaufdes sechsten Monats: Wollen wir abbrechen oder nicht?

Wieviel PatientInnen kommen pro Jahr?

Etwa 700 für die Fruchtwass ser-Untersuchung, 300 genetische Beratungen, 600 postnatale Diagnosen. Aber das ist nur ein kleiner Teil des Bedarfs.

Auf die Tür Ihres Zentrums wurde gesprüht: „Weg mit der pränatalen Eugenik“. Wie leben Sie mit dem Vorwurf der Ausmerzung Behinderter?

Man überlegt, wie solche Einschätzungen von Laien zustandekommen. Mit Eugenik ist gemeint, daß Leute die Erbmasse der Bevölkerung verbessern wollen, indem bestimmte Menschen ausgerottet werden. Da wissen

wir, daß das, was wir machen, eugenisch nicht wirksam ist. Wenn eine Schwangerschaft mit diagnostiztiertem Down-Syndrom nicht abgebrochen würde, wären die männlichen Nachkommen später ohnehin steril, und es ist Usus, daß eine Schwangerschaft bei solchen Frauen fast automatisch eine Indikation ist für einen Abbruch. Der Effekt auf die Gene der Bevölkerung ist also gleich Null.

Was aber wird in den Köpfen der Menschen angerichtet? Die Idee der Machbarkeit möglichst gesunder Menschen Behinderung als verpaßte Abtreibung...

Es gilt, deutlich zu machen, daß Behinderung ein Bestandteil des menschlichen Lebens ist, nichts Verkehrtes... Da sind die Politiker besonders gefordert. Wir haben ja auch die Sorgen nicht in die Bevölkerung hereingetragen, daß die in so bösartiger Weise auf uns zurückschlagen. Unsere Diagnose ist eine normale ärztliche Leistung. Wie stark die Behinderung ausgeprägt sein wird, können wir allerdings nicht sagen. Es gibt das genetische Grundrisiko von fünf Prozent für jede Frau, daß das Kind einen derartigen Fehler trägt. Dr. Regina Albrecht

taz: Was machen Sie?

Dr. Albrecht: Ich bin Ärztin und mache genetische Beratungen. Meist geht es um bereits in den Familien aufgetretene Krankheiten - zum Beispiel Augenerkrankungen, Nierenerkrankungen, degenerative Nervenerkrankungen...

Ist der Andrang groß?

Ich muß einen großen Teil abweisen; ich bin bis in den Herbst hinein belegt.

Die meisten der 5.000 Erb-Krankheiten werden ja nicht erfaßt - es gibt keinen Garantie

schein für ein gesundes Kind.

Ja. Man kann nur ein winziges Spektrum untersuchen, mit umfangreichen Voruntersuchungen. Es geht nur um den Einzelfall und die einzelne Erkrankung, die gesucht wird, nie um Gruppen, um ein screening. Das ist pränatal nicht durchführbar und unsinnig.

Gibt es Mütter, die ein sicher behindertes Kind austragen?

Das gibt es extrem selten, ich hab es überhaupt nur zweimal erlebt. Die meisten kommen im Gegenteil mit sehr viel Anspruch her und erwarten, daß alle denkbaren Risiken abgefangen werden. Sie tun sich schon schwer, auch nur das Grundrisiko anzunehmen.

Wie beraten Sie dann?

Wir raten überhaupt nicht. Ich werde sehr oft gefragt: 'Was würden Sie an meiner Stelle tun? ‘ - und gerade das kann und will ich nicht beantworten. Ich versuche, etwas über die Krankheit zu erzählen, damit die Paare sich entscheiden können.

RollstuhlfahrerInnen werfen Ihnen vor, ihnen indirekt die Lebensberechtigung abzusprechen, Volksgesundheit herstellen zu wollen

Volksgesundheit liegt mir nicht am Herzen, Eugenik betreibe ich nicht. Ich betreibe eine individuelle, persönliche Einzelfall-Beratung. Wenn Menschen aufgrund erworbener Leiden im Rollstuhl sitzen, ist das ja nicht genetisch bedingt. Ich selbst bin unter einem erheblich psychischen Druck durch diese Tätigkeit, weil mir die Schicksale sehr nahegehen. Man freut sich, wenn ein gesundes Kind auf die Welt kommt, und man ist traurig, wenn eine Schwangerschaft läuft, wo ein Kind abgebrochen werden muß.

Indem pränatale Diagnostik immer mehr üblich wird, kann das der Weg zur Garantiekarte für Gesundheit sein: ein behindertenfeindliches Klima?

Wirklich nicht. Es ist etwas anderes, mit bestehenden Behinderungen umzugehen oder Krankheiten für bestimmte Familien zu verhindern. Wenn ein Frauenarzt eine Schwangerschaft abbricht, ist das eine Tötung - das ist schlimm, aber das ist für die Familie das geringere Übel, gemessen am Wiederholungsrisiko einer schweren Erkrankung. Fragen: Susanne Paa