HYPERGESCHWINDIGKEITSVORLESUNG

■ Übersetzer plauderten im „Kalligramm“

Im Anfang war das Blabla. Und ins Antiquariat „Kalligramm“ i der Kolonnenstraße hatte man zum Vortragen und Reden übers Setzen „Verrücken“ und „Überbrücken“ geladen. Andreas Frank, schließt man vom angepunkten Qutfit auf innere Dispositionen, wäre vermutlich lieber bei Henry Rollins gewesen, der zeitgleich las. Stattdessen mußte er einleiten: Die Rede vom Blabla des Anfangs zur Doppelung der Dinge („Da schüttelt man die Hand und gleichzeitig sagt man: 'Gratuliere Dir!'“); vom 'war‘, daß es war, als der liebe Gott die Dinge schuf, vom 'wahr‘'als er sie benannte, vom 'war‘, „das ist englisch und heißt Krieg“ und meint den Sprach- und Meinungskrieg; vom Babel der Sprachverwirrung und Babel heißt Blabla und läßt die Sprachregionen, Ortssprachen, Gemeinplätze und die Utopie der einen Sprache entstehen, auf die sich der Übersetzer mehr oder weniger bezieht. Doch in der modernen Medienzeit verschwinden die Orte: „Alles ist Wüste, wo die Botschaften und Ereignisse zu Information verkommen sind, wo die Glasfaserkabel des Pentagon ein Netz bilden, in das die Welt und mit ihr die Vielfalt der Sprachen ... eingefangen werden. Nur das eine nicht ...: die Bombe.“ (Kittler). Das 'H‘ der Bombe, das sich nicht in die symbolische Ordnung einschreiben läßt, macht ein zukünftiges 'war‘, das Ende, wahr.

Da klopft der Übersetzer an: „Ich will nicht stören, darf ich.“ Anselm Bühling und Viola Theunissen also haben den sowjetischen Science Fiction „Der Goldfisch“ von Vitalij Babenko übersetzt und verbreiten sich über die Schwierigkeiten ihres Tuns. Verschiedene symbolische Ordnungen, verschiedene Kulturen, verschiedene Grammatiken, ein unterschiedliches „Arsenal des Peinlichen“ und eine unterschiedliche Bedeutung des Genres machen dem Übersetzer das Leben schwer, wenn er einen Text zu einem anderen machen muß.

Man diskutierte über die Möglichkeiten des eigentlich Unmöglichen; was macht man z.B. mit der ecriture automatique, die doch gerade in ihrer Assoziationslogik nur im soziokulturellen Zusammenhang der Ursprungssprache funktionieren kann, fragt Wolfgang Schmidt, Herausgeber der Edition „Sirene“. Darüber, daß Übersetzungen die Literatursprache verändern, internationalisieren, war man sich einig; ohne Dostojewskij kein Fontane, ohne Baudelaire kein Dehmel (Dämel!).

Es war eine Art „Hypergeschwindigkeitsvorlesung unter den Bedingungen urbanen Lärms“ (Babenko; den Lärm gibt's nur wegen des schönen Zitats), übers Übersetzen und übereifrige sowjetische Zeitschriftenredakteure, die '86, als man von Gorbatschow noch nicht mehr wußte, als daß er Mineralsekretär ist, den „Goldfisch“ als erste in die Finger kriegten: Babenko wurde kurzerhand aufgefordert, den Anfang

-ein „gewöhnlicher Angestellter der Behörde für Feier- und Alltage“ wacht nach einem Saufgelage mit einem entsetzlichen Kater auf - umzuändern. Der Autor ersetzt Wodka durch Buchweizengrütze, der Rest blieb unverändert. Und wenn der Bürger ursprünglich an ein Trinkgelage mit Freunden denkt, so denkt er in der „korrigierten Fassung“ eben an eine wilde Buchweizengrützorgie.

Andere Änderungen, von denen Bühling und Theunissen erzählten, waren nicht weniger absurd: Zeitreisen in die christliche Mythologie führen in der redigierten Fassung in die heidnische Götterwelt: „Und ob ich (Christus gesehen) habe ... Ich habe mich öfters mit ihm unterhalten, als ich im Körper von Judas Ischariot steckte. Für das Verbrechen von Judas kann ich natürlich nichts: nach dem Gesetz der Chronostasie hatte ich keine Möglichkeiten, mich da einzumischen. Was Christus betrifft ... Jescha war schon ein kluges Kerlchen, nur schrecklich kurzsichtig... .“ Man ersetze Jesus durch Zeus, Judas durch Poseidon; in unseren Ohren ein ziemlicher Spaß. Die Leningrader Literaturdozentin, die das Produkt betreut hatte, war allerdings ziemlich schockiert.

Sowjetische SF-Autoren veröffentlichen oft zwanzig Jahre in den Literaturspalten obskurer Zeitschriften ('Chemie und Leben‘, wie auch immer), bevor sie ihr erstes Buch herausbringen können; ihr Leid und Leben sind auch im „Goldfisch“, einer Variation des Buttmärchens, thematisiert: Der Held wünscht sich in eine Gruppe von zwölf SF-Autoren, die seine Geschichte wiederum in zwölf Kapiteln erzählen. Ein schönes Stück Architektonik zumal gleichzeitig jeder der zwölf sich eigentlich an keines der ungewöhnlichen Erlebnisse mit dem Helden erinnern kann. Aber „eben darin besteht das Geheimnis des von R.Nargolin entwickelten genialen Instantverfahrens der Novellistik“, belehrt uns einer der erfundenen Autoren. Es geht um Wünsche, Wunschmaschinen, letztendlich um den eigentlichen Wunsch, Wunscherfüllungsmaschine zu werden.

Der ganze Abend stand unter dem Zeichen von Wünschen und Verschiebungen, ein Nicht-Übersetzer hatte einen Vortrag übers Setzen und Sprache gehalten, die Übersetzer redeten über den Inhalt ihres Buches, und der Ungar Jadi schließlich, „gescheiterter Übersetzer“ (Lukacs & Celan, hin & zurück), Psychiater und Dichter, begann mit dem Sprachverrückten der Verrückten. Schizophasie und Schizosprache; eine Sprache, deren Regeln vielleicht noch starrer sind als die der „normalen“ Sprache, die man so aber auch wie eine „normale“ Sprache lernen kann. Deutsche Psychotiker verrücken ähnlich wie ihre ungarischen Leidensgenossen. Was ist noch verstehbar? - Jadi ließ in einem Versuch seine Patienten dadaistische Texte interpretieren. Die einen, z.B. Arp, wurden als „falsch“, die anderen (Tzara) als „echt“ empfunden. Womit wir bei der Frage der Authentizität wären, denn Jadi endete mit eigenen Texten und einem Diskurs über die Notwendigkeit, „innere Anarchie“ zu erreichen. Die herunterfallende Zigarettenschachtel, die Angst der Zigaretten vor dem Sturz sollten „innere Grenzüberschreitungen“ demonstrieren. „Es gab sie nie und er konnte nicht vergessen. Richtungen fällen wäre schon trüb Oleander. Schrumpf Sau raus!“ (Jadi)

Detlef Kuhlbrodt

Vitalij Babenko „Der Goldfisch“, edition Wunschmaschine, 14,80 Mark.

Jadi (hrsg.) „Was ist Kunst in der Kunst von Geisteskranken“ Greno (geplant).