Selbstbewußtsein tut not

Die Alternative Liste als Regierungspartei  ■ K O M M E N T A R

Ob das Projekt gelingt, die politische Kultur in Berlin und der Bundesrepublik hin zu mehr Demokratie zu beeinflußen, wird wesentlich davon abhängen, ob die AL genügend Selbstbewußtsein entwickeln kann -, wobei Selbstbewußtsein nicht im Sinne von „Identität“ verstanden werden darf. Denn dem Verlust des eigenen Ichs weint nur die Opposition nach. Selbstbewußtsein ist gemeint als Mut, innerhalb der vorhandenen gesellschaftlichen Mehrheiten Überzeugungsarbeit für grüne Positionen zu leisten. Aufgeben muß die Alternative Liste und nicht nur die parlamentarische Regierungsfraktion, sondern auch die Partei, ihren einmal in Gründungszeiten aufgestellten Grundsatz, keine Politikfelder gegeneinander auszuspielen. Die unbedingte und kompromißlose Aneignung und Unterstützung von Forderungen „der Basis“ ist tauglich für Oppositionspolitik - unbrauchbar aber für Regierungshandeln. Die Debatte um mehr Wohnungen und mehr Grün macht den Konflikt deutlich.

Vorhanden scheint die Lust am Regieren - die Mehrheit für Koalition war eindeutig. Die Parteibasis, die zum ersten Mal nach der Wahl wieder in Erscheinung trat, hat die Funktionäre links liegen lassen. Volle Kraft voraus zur Macht, hieß die Devise - bedenkenswerte Argumente, wie sie die Tolerierer vorgebracht haben, waren nicht gefragt. Die Suche nach fachkompetenten Kandidaten, die auch die Utopie grüner Politik mitvermitteln sollen, war allerdings ein Trauerspiel. Eine - wenn auch unzweifelhaft kompetente Gewerkschaftsfrau als Schulsenatorin! War die grüne Bewegung nicht angetreten, auch den rechten Lobbyismus zu brechen? Jetzt praktiziert sie dasselbe von links. Auf der Suche nach einer Frauensenatorin zeigte sich die Frauenszene in schlechtestem Licht. Erbitterte Machtkämpfe stehen am Anfang der Arbeit der Frau, die auf sich die Utopie neuer Lebensformen richten soll. Doch am Ende wiegt am schwersten, daß in diesem neuen rot-grünen Senat nach dem Stand der Dinge keine Person sitzen wird, die für dieses rot-grüne Bündnis gekämpft hat. Die mit klarer politischer Linie - der Linie der Alternativen Liste - mit innerer Distanz zur Sozialdemokratie die neue Politik repräsentiert. Profil wird die neue Regierung über die SenatorInnen der Alternativen Liste bekommen. Von ihnen wird es abhängen, ob die AL von der SPD vereinnahmt oder ob es die SPD ist, die von links unter Druck gesetzt wird.

Brigitte Fehrle