Nicht gerade ein Zentrum von Arbeitern und Bauern

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(Jüdisches Leben heute, ZDF, 11.3., 15.15 Uhr) Der Film fängt an wie fast jede Dokumentation über Juden in der DDR, mit Blick auf den Friedhof Weissensee und auf ein jüdisches Begräbnis; dann der übliche Hinweis auf die „goldenen zwanziger Jahre“ in Berlin und den Beitrag der Juden zur deutschen Kultur: Tucholsky, Einstein etc.: deutsche Juden als Preußischer Kulturbesitz? Es folgt ein Gespräch mit Dr.Peter Kirchner, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde (Ost) Berlin. Hauptfrage: die Situation einer religiösen Gemeinschaft in einem atheistischen Staat. Kirchner dazu: „Es war auch in den ersten Jahren der Republik, wenngleich immer eine Gemeinde existiere konnte, ohne begrenzt zu werden, schwierig für die vielen, die im Zwischenfeld lagen zwischen Religion und politischem Engagement. Heute ist die Toleranz auf beiden Seiten da, der Staat hat die Religionen anerkannt, erkennend, daß sie auch die nächsten Jahrhunderte weiter existieren werden. Und auf der religiösen Seite auch, daß Engagement für den Staat da ist, daß was gemeinsam zu schaffen ist, um Leben zu garantieren, um Wirtschaft zu entwickeln, daß hier Möglichkeiten bestehen, beides in einer Person zu verbinden.“

Kirchner erzählt weiter, wie nicht nur in Ost-Berlin, sondern auch in der Provinz in Jüdischen Gemeinden, die bis vor kurzem am Aussterben waren, sich jetzt junge Leute melden, „die sich erinnern, daß sie aus jüdischen Familien kommen, nicht nur Sympathisanten, sondern Menschen, die nach ihren Wurzeln suchen“.

Der Film zeigt, wie die Jüdische Gemeinde Ost-Berlin diesem neuen Interesse begegnet: mit Unterricht in Hebräisch, mit einer jüdischen Bibliothek, Konzerten, mit jiddischer Musik und mit Kindernachmittagen zweimal im Monat. Tim, ein kleiner Besucher an diesem Nachmittag, wird gefragt: „Bist du Jude?“ Antwort: „Nur so ein bißchen. Oma und Papa ist Jude.“

In einer Reihe kurzer Interviews äußern sich Juden, die teils Mitglieder, teils nur „Freunde“ der Gemeinde sind, vorsichtig. Eine Frau hält das neue Interesse von jüngeren Leuten am Judentum für eine „Modeerscheinung“. Eine andere Frau, die aus dem englischen Exil in die DDR zurückkehrte, bemerkt über die Stalin-Zeit: „Ich habe wirklich, ehrlich, die Hoffnung, daß sich sowas hier nicht wiederholen kann, denn es ist jetzt gesetzlich festgelegt. Es gibt hier auch Skinheads, die Gräber schänden, aber diese Rowdies werden dingfest gemacht. Ich habe gewisse Zweifel, daß das in manchen westlichen Ländern so praktiziert wird.“

Bei der Schabbatfeier der Gemeinde, jetzt regelmäßig organisiert von Heinz Rothholz, ist die Diskussion etwas lockerer.

Die Sendung schloß mit einem Statement des 18jährigen Frank Fischer, der gerade in die Jüdische Gemeinde aufgenommen worden war: „Die Jüdische Gemeinde heute ist aus ihrer Nische hervorgetreten.“ Ein sehenswertes Porträt der Juden in (Ost) Berlin von Werner Brüssau, informativer und differenzierter als die bisher bekannten Filme, und ohne Klischee.

Robin Ostow (Die Autorin lebt z.Z. in Berlin und hat

das Buch „Jüdisches Leben in der DDR“ / Athenäum 1988 geschrieben