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Mit Mantel und Degen gegen NRW-Kultur

■ RTL plus kündigt Vertrag mit Kanal4

Rivalin des Teufels, ein Spielfilm über „Intrigen, Liebe und den Sturz eines Tyrannen“, stand am Samstag um 14.35 Uhr auf dem Programm von RTL plus. Die Ankündigung, von allen gängigen Programmzeitschriften ausgedruckt, war korrekturbedürftig. Denn per Einstweiliger Verfügung war dem „erfrischend anderen“ Kommerzsender aufgegeben, sich um 15.15 Uhr mit Kanal4 vor Ort zu begeben - so der Titel einer Sendereihe, mit der der leicht linkslastige NRW -Anbieter Kanal4 regelmäßig im RTL plus-Rahmen NRW -spezifische Veranstaltungen präsentiert. Statt Amourösem aus dem Frankreich des 16.Jahrhunderts sollte eine in Essen produzierte Werkschau des Film-Dokumentaristen Peter Nestler gezeigt werden, die ohnehin auf dem Programm stand, bis RTL plus am 17.Februar den Sendevertrag mit Kanal4 kündigte und bis auf weiteres alle vereinbarten Termine stornierte (s. taz vom 3.3.89).

Den großen Bruder jedoch scherte die einstweilige Verfügung wenig: am Samstag lief dann doch der intrigante Liebesschinken, aus „programmtechnischen gründen“, wie es hieß. Kanal4 fand auch noch seinen Platz auf dem Sender, zur besten Zeit, nachts um 0.40 Uhr.

Durch einen Vertrag zwischen RTL plus und Kanal4 - beide mit Sitz in Köln - hatten sich die Exluxemburger als Lizenznehmer der drahtlosen NRW-Erstfrequenzen im Sommer letzten Jahres verpflichtet, 1989 insgesamt 14 Stunden Sendezeit zur Verfügung zu stellen.

Programmdirektor Helmut Thoma begründete die Kündigung mit einem Hinweis auf die Programmverantwortung, die RTL plus auch für Produktionen seines „Untermieters“ Kanal4 trage. Für unverantwortbar hielt Thoma vor allem eine Kanal4 -Sendung vom 11.Februar, in der eine furiose Mischung auf die Bildschirme gelangt war: mit Super 8 gefilmter Punk aus Leipzig, Dresden, Erfurt und Berlin (Ost), der mit einer Art Betroffenen-Berichterstattung über die politischen Ambitionen des „Autonomen Zentrums Weißhausstraße“ in Köln kombiniert wurde. Die rheinischen Hausbesetzer hatten sich im O-Ton für „Feuer und Flamme für diesen Staat“ aussprechen können, ohne von „neutraler“ Moderation relativiert zu werden - Anlaß genug für Thoma, mögliche „Verstöße gegen Programmrichtlinien von RTL plus“ zu vermuten. RTL plus sei nicht mehr bereit, Kanal4 auszustrahlen, so Thoma, solange das NRW-Spezifikum nicht von einer bundesweiten Verbreitung abgetrennt werden könne.

Thomas Verknüpfung der inkriminierten Sendung mit ihrer bundesweiten - und über Satellit gar europaweiten Ausstrahlung läßt vermuten, daß er die Zwickmühle vor Augen hatte, in die RTL plus mit der Vergabe der NRW -Fernsehfrequenzen im Juli 1988 geraten war. Damals hatte die Landesmedienanstalt die von den kommerziellen Fernsehveranstaltern heiß begehrten terrestrischen Erstfrequenzen den Neu-Kölnern zugeteilt (SAT1 bekam die schwächere zweite Senderkette). Für RTL plus bedeutete das im bevölkerungsreichsten Bundesland auf einen Schlag eine millionenfache Erhöhung des Reichweitenpotentials - und einen zeitweisen Vorsprung im Wettlauf mit der Konkurrenz von SAT1.

Vorbedingung der Lizenzvergabe war allerdings die Einigung mit weiteren Fernsehveranstaltern. So werden auf den NRW -Schienen von RTL plus und SAT1 auch Programmanteile von Tele5 (Teilhaber: Italiens Medienmulti Berlusconi und neuerdings Bundesdeutschlands Kirch), der „DCTP“ (Teilhaber: Alexander Kluge sowie die japanische Werbeagentur Denso) und eben von Kanal4 gefahren. Teilhaber von Kanal4 sind fünf nordrheinwestfälische Film- und Videoproduzenten, das Kölner „Theater am Dom“, die „Komödie“ und die Konzertagentur Heinersdorff aus Düsseldorf und Kanal4-Geschäftsführer Klaus Keuter, der aus der Gewerkschaftsecke in die TV-Welt gewechselt ist. Als der „Untermiet„-Vertrag mit RTL plus perfekt war, schien es Keuter, als hätte sein mittelständisches Unternehmen „einen Fuß in die Phalanx der Großen“ bekommen.

Eine Handhabe, RTL plus und SAT1 zur Einigung über Sendezeiten anzuhalten, bot auch das NRW-Landesmediengesetz: Es verpflichtet jeden Programmanbieter, einen Teil der Sendezeit NRW-Themen zu widmen. „Wir sind die einzigen, die das ernst nehmen“, sagt der Kölner Filmemacher Peter Kleinert, einer der Teilhaber von Kanal4. Das Programm schmeckt denn auch ein bißchen nach Kohle & Stahl - neben farbigen Kulturschnipseln wird viel graue Maloche gezeigt. So beschäftigt sich etwa die Familienserie Vier im Revier mit dem Ende der letzten beiden Zechen im Aachener Steinkohlerevier. Gestartet wurde im vergangenen Oktober mit Wallraffs Ganz unten - RTL plus-Programmdirektor Thoma freute sich noch über eine „überraschend hohe“ Einschaltquote von über 700.000 Zuschauern. Entschieden verärgert gaben sich die Großkommerziellen indes seit Anfang des Jahres, als der Kleinanbieter zweimal selbstbewußt anmoderiert hatte: „Sie sehen nun nicht RTL plus, sondern Kanal4.“

Der Ärger der großen Privaten über Huckepackprogramme, die ihnen die Düsseldorfer SPD-Medienpolitik aufgedrückt hatte und die sie bislang aus technischen Gründen bundesweit ausstrahlen müssen, war schon im letzten Herbst aufgekommen, als rechte Medienpolitiker gegen das „Spiegel-TV“ schossen. So hatte etwa Wolf Dieter Ring, Direktor der bayerischen Landesmedienanstalt und ehedem Medienreferent bei Edmund Stoiber, vermutet, bei der bundesweiten Präsenz von Alexander Kluges „DCTP“, die ihre NRW-Lizenz wiederum an den Spiegel untervermietet, handele es sich um eine „unzulässige Sendezeitenübertragung“. Die 'Süddeutsche Zeitung‘ berichtete damals von Empfehlungen von Landesmediendirektoren aus CDU/CSU-regierten Bundesländern an RTL plus und SAT1, die redaktionelle Obhut für die bislang in eigener Verantwortung produzierten Politik- und Kulturprogramme der „Untermieter“ selbst zu übernehmen.

Es scheint, als habe RTL plus mit der Kündigung des Vertrages mit Kanal4 - und mit seiner Attacke gegen die Kölner Weißhausstraße - einen neuen Anlauf nehmen wollen, zumindest über NRW hinaus letzte programmliche Ecken und Kanten abzuschleifen. Allerdings fordert Artikel 8 des Staatsvertrages über die Neuordnung des Rundfunkwesens auch von privaten Vollprogrammen ausdrücklich, „inhaltlich die Vielfalt der Meinungen im wesentlichen zu Ausdruck zu bringen“. Daß die von Kanal4 präsentierten Autonomen RTL plus zur Vielfalt gereichen - wer würde das bestreiten?

Peter Hanemann

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