Angelika Speitel wird begnadigt

■ Nach zwölf Jahren Haft soll die Ex-RAFlerin freikommen - allerdings erst Ende Juni 1990

Bonn/Berlin (dpa/taz) - Nach fast zwölf Jahren Haft soll Angelika Speitel freigelassen werden. Bundespräsident von Weizsäcker hat die Ex-RAFlerin begnadigt, die sich vor einem Jahr mit einem Gnadengesuch an ihn gewandt hatte. Angelika Speitel soll allerdings erst am 30.Juni nächsten Jahres, kurz vor Ablauf ihrer zwölfjährigen Haftzeit, freikommen. Weizsäcker traf diese Entscheidung am vergangenen Mittwoch während des Hungerstreiks der RAF-Gefangenen, die ihre Zusammenlegung und die Abschaffung der Isolationshaft erreichen wollen. Zwei Gefangene, Christa Eckes und Karl -Heinz Dellwo, werden schon Ende des Monats in Lebensgefahr schweben.

Wie der 'Spiegel‘ berichtet, hat Justizminister Engelhard (FDP) den „Gnadenerlaß“ Weizsäckers für die zu lebenslanger Haft verurteilte Angelika Speitel bereits gegengezeichnet. Das Gnadengesuch für den ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilten Peter-Jürgen Boock hat Weizsäcker dagegen abgelehnt. Auch Boock hatte sich im Frühjahr 1988 mit einem Gnadengesuch an den Bundespräsidenten gewandt. Wie dessen Pressesprecher Pflüger gestern erklärte, sah sich Weizsäcker „gegenwärtig“ nicht in der Lage, Boock freizulassen, der seit neun Jahren inhaftiert ist. Weizsäcker werde jedoch „zu gegebener Zeit erneut über das Gesuch befinden“.

Wie der 'Spiegel‘ weiter berichtet, soll Weizsäcker auch bei Peter-Jürgen Boock die Begnadigung erwogen haben. Justizminister Engelhard habe sich jedoch gegen einen Gnadenerweis gewandt, da Boock erst vor 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden sei und eine Begnadigung nach so kurzer Zeit „einen zeitlichen Ausreißer gegenüber der bisherigen Begnadigungspraxis für Lebenslängliche“ bedeutet hätte. Boock war bereits im Januar 1981 verhaftet und im Mai '84 vom Oberlandesgericht Stuttgart zu dreimal lebenslang verurteilt worden. Dieses Urteil wurde im Juli 1985 vom Bundesgerichtshof teilweise aufgehoben, im November 1986 ist er dann aber erneut zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Diese Entscheidung ist seit September '87 rechtskräftig. Nach Informationen des 'Spiegels‘ hat Weizsäcker vor seiner Entscheidung mit Angelika Speitel und Peter-Jürgen Boock ausführlich gesprochen. Diese Gespräche sollen weder im Präsidialamt noch in den Fortsetzung auf Seite 2

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Gefängnissen, sondern an einem nicht näher genannten anderen Ort stattgefunden haben. Wie Weizsäcker erklärte, sei er von der „Gnadenwürdigkeit“ Angelika Speitels überzeugt. Sie habe sich seit Jahren nachhaltig von der RAF losgesagt und ihre Tat „aufrichtig bereut“. Im Strafvollzug habe sie nach anfänglicher „Selbstisolation“ die Möglichkeit der Mitarbeit und der Resozialisierung wahrgenommen.

Angelika Speitel war im September

78 in der Nähe von Dortmund verhaftet worden, als sie zusammen mit anderen RAF-Mitgliedern bei Schießübungen im Wald von Polizisten überrascht wurde. Bei der Verhaftung wurde ein Polizist getötet, ein anderer schwer verletzt und das RAF-Mitglied Peter Knoll so schwer verletzt, daß er wenig später starb. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte Angelika Speitel am 30.November 1979 zu zweimal lebenslanger Haft. Das Gericht hielt sie des gemeinschaftlich begangenen und versuchten Mordes an den zwei Polizeibeamten für schuldig. Nach der Ermordung des Bonner Di

plomaten von Braunmühl im Oktober 86 hatte sie zusammen mit Klaus Jünschke und Gert Schneider in einem Fernsehinterview dieses RAF-Attentat als verwerflichen Mord bezeichnet. Die CDU hat auf die Entscheidung Weizsäckers unterschiedlich reagiert. Parteisprecher Merschmeier meinte, die CDU vertraue darauf, daß der Bundespräsident richtig entschieden habe. Der CDU-Abgeordnete Gerster nannte die Begnadigung „verfrüht“.

Die grüne Abgeordnete Antje Vollmer sagte dagegen: „Ich bin froh über die souveräne und ohne Opportunismus gefällte Entscheidung des

Bundespräsidenten für Angelika Speitel.“ Dennoch bleibe dieser Gnadenakt „ein auf den Einzelfall beschränktes Ereignis“.

urs