Kindererziehung wie am Fließband

■ Kita-HeimleiterInnen überraschten Sozialsenator mit Protest-go-in / Aufnahme von 21 Kindern pro Gruppe kollektiv verweigert / Scherf fordert Mut zu Balanceakten

„Wir können einfach nicht mehr.“ Die Leiterin einer Bremer Kindertagesstätte brachte gestern auf eine einfache Formel, was sie und rund 60 ihrer KollegInnen unangemeldet in die Amtsräume von Sozialsenator Henning Scherf getrieben hatte. Ihre gemeinsame Sorge: Immer mehr Kinder mit immer größeren Problemen kommen in immer neue Zweigestellen der Bremer Kindertagesstätten mit immer überlasteterem Personal. Die Kinder sind sauer, weil die ErzieherInnen nicht mehr genügend Zeit für sie haben, die Mitarbeiter sind sauer, weil sich ihre Arbeitsbedingungen ständig verschlechtern, die Eltern sind sauer, weil ihre Kinder häufig nur noch von Notdiensten betreut werden können oder ganz nach Hause geschickt werden müssen, weil ihre Betreuerin krank geworden ist und Vertretungs-Kräfte nicht zur Verfügung stehen. Eine neue Dienstanweisung des Sozialsenators hat das Faß des Kita -Mitarbeiter-Unmuts jetzt zum Überlaufen gebracht: Ab August sollen statt bislang 20 Kinder pro Gruppe 21 aufgenommen wer

den. (vgl. taz v. 11.3) So will Henning Scherf sein Versprechen einlösen, in diesem Jahr 440 neue Kita-Plätze mit nur 35 neuen ErzieherInnen-Stellen einzurichten. Offensichtlich hatte Scherf diese Rechnung ohne die Betroffenen gemacht: Ihre Weigerung, die neue Dienstanweisung auch umzusetzen, gaben ihm die versammelten Heimleiter gestern schriftlich.

Trotzdem: So recht glauben wollte der Sozialsenator die dramatischen Schilderungen der HeimleiterInnen anscheinend nicht. „Meine Statistiker sagen mir etwas anderes. Die haben mir ausgerechnet, daß wir im letzten Jahr weniger Kinder als früher aufgenommen haben, obwohl wir zusätzliche Stellen geschaffen haben.“ Und warnend fügte Scherf hinzu: „Das darf man überhaupt nicht laut sagen, daß wir Stellen geschaffen haben, ohne zusätzliche Plätze anzubieten.“ Wenn es nach dem Sozialsenator geht, müssen die Kita-Mitarbeiter froh sein, daß die jahrelange Sparphase in den Bremer Kitas überhaupt zu Ende sei. „Eine Verbesserung der Qualität kriege ich aber politisch nicht hin, wenn ich nicht gleichzeitig

eine quantitaive Ausweitung vorweisen kann. Da spielt die Bürgerschaft nicht mit, da spielen die Eltern nicht mit, die dringend einen Platz suchen, da spielt der Finanzsenator nicht mit.“

Gegen den von Scherf vielbeschworenen „Balanceakt von Qualität und Quantität“ in den Kitas hätten gestern wahrscheinlich auch die versammelten Heimleiter nichts einzuwenden gehabt. Allerdings suchten sie vergeblich nach den qualitativen Verbesserungen ihrer Arbeit. Schließlich sollen die versprochenen 35 neuen MitarbeiterInnen nicht die bisherigen entlasten, sondern zusätzliche Gruppen betreuen. „Sie tun so, als würden sie uns ständig Bonbons servieren und wir wären bloß zu blöd, um zu schmecken, wie süß die sind“, machte eine gereizte Heimleiterin ihrem Unmut Luft. In Wirklichkeit gehe es den Kita-Mitbeitern ganz anders: „Wir fühlen uns so wie Fabrikarbeiter, bei denen immer wieder das Band schneller gestellt wird. Bloß mit einem Unterschied. Bei uns geht das nicht nur auf die Knochen von Kollegen, sondern auch auf die Knochen von Kindern.“

K.S.