Bremer Gericht gestattet Gift-Export

■ Lübecker Eilantrag gegen Giftmüll-Transporte auf DDR-Deponie Schönberg vom Verwaltungsgericht abgewiesen / Gefährdung des Lübecker Trinkwassers „allenfalls möglich, eher aber unwahrscheinlich

Der Giftmüll quillt über die Firmenzäune, an jeder zweiten Straßenecke steht ein Dioxin-Container, die Industrie ist lahmgelegt, die Arbeitslosenquote schnellt auf 50 Prozent ein solches Szenario haben sich drei Bremer VerwaltungsrichterInnen ausgemalt. Damit es soweit nicht kommt,

lehnten sie den Antrag der Stadt Lübeck ab, die Giftmülltransporte der Bremer Firma Plump auf die DDR-Kippe Schönberg sofort zu stoppen. Lübeck bezieht sein Trinkwasser aus dem Grundwasser-Einzugsbereich der größten Giftmülldeponie Europas, die nur sechs Kilometer östlich der

Hansestadt liegt.

„Ein öffentliches Interesse an einer geordneten kontinuierlichen Entsorgung besteht vor allem aus Gründen des Umweltschutzes, der Gesundheit und Hygiene“, weiß das Bremer Gericht und erklärt dann die Deponie Schönberg zur „vorerst einzigen

geordneten Entsorgungsmög lichkeit“. Den hydrogeologischen Untersuchungen der Stadt Lübeck, die eine große Gefährdung des Trinkwassers durch Gifte, die aus der nach unten nicht abgedichteten Schönberger Giftkippe sickern, voraussagen, hält das Bremer Verwaltungsgericht einen „mehrheitlichen Meinungsstand“ von Gutachtern des Bundes und der Länder entgegen. Dieser beruht auf „von der DDR zur Verfügung gestellten Unterlagen und den daraus von Wissenschaftlern der DDR gezogenen Schlußfolgerungen.“

„Eigene Gutachter können wir nicht entsenden, schließlich ist die DDR ein souveräner Staat“, erläutert der zuständige Abteilungsleiter für Baurecht im Umweltressort, Hans-Henning Zietz. Als „Erbsenzählerei“ bezeichnet dagegen sein Lübecker Kollege, der stellvertretende Leiter des dortigen Rechtsamtes, Bernhard Volkmar, das Vorgehen der Bremer RichterInnen. „Das DDR-Material liegt nur der Bundesregierung vor, es gibt keine Möglichkeit diese Daten zu überprüfen“, beklagt sich Volkmar.

Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller hofft jetzt auf die Entscheidung in der Hauptsache. Denn das Bremer Urteil entschied nicht über die Zulässigkeit der Gift-Transporte überhaupt, sondern nur über einen sofortigen Stopp. Daß auch schon dabei eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre, habe, so Bouteiller, im Herbst 88 ein Verwaltungsge

richts-Urteil in Oldenburg bewiesen. Dort wurden auf Lübecker Antrag die Durchfuhrgenehmigungen für niederländischen Giftmüll auf die DDR-Kippe für rechtswidrig erklärt.

Dutzende Urteile der einen oder der anderen Art trudeln derzeit in Lübeck ein. Selbst das Bremer Verwaltungsgericht räumt in seiner Eilentscheidung ein, daß es „hinsichtlich des Gefahrenpotentials der Deponie Schönberg für die Lübecker Trinkwasserversorgung eine Vielzahl offener Fragen gibt“. Trotzdem spreche derzeit „mehr für ein Unterlegen“ Lübecks im Hauptsacheverfahren, das „Restrisiko“ müsse dort getragen werden.

Bis zu 10.000 Tonnen hochgiftiger Fracht geht allein aus Bremen jedes Jahr auf die DDR-Kippe vor Lübecks Toren. Über eine Million Tonnen Müll lagern schon heute auf der 1981 eröffneten Deponie. Tatsächlich gibt es für viele der nach Schönberg „exportierten“ Gifte in der Bundesrepublik keine zugelassene Deponierungsmöglichkeit. Ein Stopp des Schönberg -Transits würde „zu einem Rückstau von Abfällen“ führen, fürchten die Bremer VerwaltungsrichterInnen und schlußfolgern in ihrem Urteil: „Daß demgegenüber die Ablagerung der Abfälle auf der Deponie Schönberg nicht einer geordneten Abfallbeseitigung entspräche, ist weder erwiesen noch überwiegend wahrscheinlich, sondern allenfalls möglich, eher aber unwahrscheinlich.“

Dirk Asendorpf