Vom Nachttisch geräumt: LITERATUR

Siebenundzwanzig Jahre war Julien Green alt als seine „Englische Suite“, eine Folge von Porträts von Samuel Johnson, William Blake, Charles Lamb, Charlotte Bronte und Nathaniel Hawthorne erschien. Keck wie nur ein junger Mann sie schreiben kann, aber souverän als hätte er seit sechzig Jahren nichts anderes getan als Literatur kritisiert und geschrieben. Ein reines Vergnügen. Wie er über den grummelnden, seine Umwelt schikanierenden Samuel Johnson herfällt, dessen Eckermann, James Boswell, seinem Meister erst den Thron verschaffte, von dem aus er als „verdrießlicher Gott“ auf die englische Literaturgeschichte hinunterblickt. Seinen Ruhm verdankt Johnson nicht den Büchern, die er geschrieben, sondern dem, das Boswell über ihn geschrieben hat. Julien Green arbeitet solche Pointen so plastisch heraus, daß man beim Lesen laut lacht und nach zwei Seiten das Gefühl hat, die von ihm Porträtierten nicht etwa 'nur‘ gelesen zu haben, sondern bestens zu kennen. Ganz nebenbei vermittelt Green einem dabei eine sehr genaue Vorstellung von den stilistischen Eigenarten seiner Helden. Wie er zum Beispiel über den prophetisch-dunklen William Blake schreibt: „Man folgt einer von Blake gezeichneten Linie mühelos von ihrem Ursprung bis zu ihrem Ende, ohne daß das Auge eine Sekunde zögert. Sie nimmt sozusagen einen unfehlbaren Verlauf, wird nie schwächer, verliert sich nie. Diese Klarheit der Vision ist die wesentliche Qualität der Zeichnung Blakes. Jeder Gegenstand sondert sich in seinen Augen durch einen scharfen und schneidenden Umriß ab, und nie fügt der Schatten der von Blake über alles geliebten Linie seine mildernden Veränderungen hinzu. Denn der Schatten verwandelt den Anschein der Dinge tatsächlich und nimmt ihnen jenen elementaren Aspekt, der wie ihre Nacktheit ist; deshalb ist der Schatten unvereinbar mit der Vision des Mystikers“. Aufklärung und Erleuchtung liegen nahe bei einander und können beide mit den Dunkelmännern nichts anfangen.

Julien Green, Englische Suite - Literarische Porträts, aus dem Französischen von Helmut Kossodo, List Verlag, 144 Seiten, 29,80 DM