„Darüber reden, was Antifaschismus bedeutet“

■ Wie umgehen mit den Rechtsradikalen und ihren Wählern? / Streitgespräch zwischen der neuen Vorstandssprecherin der Grünen, Verena Krieger, und dem aus dem Bundestag rotierten Berliner Abgeordneten der Alternativen Liste, Peter Sellin / Plädoyer für die multi-kulturelle Gesellschaft - auch als Strategie gegen rechts

taz: Du hast vor der Berliner Wahl vertreten, man solle nicht soviel aufhebens um die „Republikaner“ machen, weil man sie nur aufwertet. Fühlst du dich bestätigt?

Peter Sellin: Die Aufwertung geschah in Berlin über den Einspruch gegen den Werbespot, dazu die Berichte in den Zeitungen, dann die Demo gegen die „Republikaner“. Das war der Motor dafür, daß sie bekannt wurden. Aber das Ursachenpotential, daß sie gewählt wurden, ist natürlich in der Stadt vorhanden. In mehreren der Satellitenstädten haben gerade soziale Schichten mit geringer oder keiner Berufsausbildung und hoher Arbeitslosigkeit und besonders Jugendliche ein Protestwahlverhalten an den Tag gelegt. Fremdenhaß entwickelt sich dort über zuziehende ausländisch sprechende Aussiedler. Das ist für die Bewohner eine neue Erfahrung, weil bislang dort ein Zusammenleben von deutschen und Ausländern gar nicht stattgefunden hat. Das geschah in den Altbauvierteln der Stadt. Interessanterweise hat die AL dort die höchsten Wahlergebnisse und die „Republikaner“ die niedrigsten.

Also keine rechtsradikalen, sondern nur Unmutswähler?

Peter Sellin: Das sind rechtsradikale Ansichten, die die Leute zum Beispiel am Tresen von sich geben. Aber es setzt sich keiner damit auseinander, auch die AL ist in diesen Stadtteilen so gut wie nicht präsent. Die Linke ist nicht in der Lage, in diesen Stadtteilen, wo sich das zusammenballt, selbst überhaupt Politik zu machen. Es gibt dort keine Veranstaltungen, es wurde kein Wahlkampf gemacht, es gibt keine kulturellen Veranstaltungen, es wird keine Gegenkultur entwickelt. Da will auch keiner wohnen. Die Unwirtlichkeit der Städte findet dort ihre reale Ausprägung.

Verena Krieger: Ich finde deine Auffassung der Aufwertung der „Republikaner“ durch Kritik, was wahlarithmetisch zutreffend sein mag, ganz katastrophal. Das bedeutet ja in der Konsequenz nur, daß Totschweigen die beste Methode sei, damit die nicht ins Parlament kommen. Schlimm ist aber in erster Linie nicht, daß sie im Parlament sind, sondern daß es ein rechtsradikales Wählerpotential gibt. Ich finde, man muß sogar in Kauf nehmen, daß sie kurzfristig Stimmen binden, weil sie ins Gespräch kommen. Gerade die Fernsehspots waren die Gelegenheit, öffentlich eine politische Auseinandersetzung zu forcieren darüber, was Ausländerhaß heißt und wie er sich vermittelt. Das war die Gelegenheit, den Kampf um die Köpfe zu führen.

Auch die Ursachen liegen tiefer als in der Strukturierung der Stadtteile. Die Ursache für Empfänglichkeit gegenüber faschistoidem Gedankengut liegt darin, daß in dieser Gesellschaft soziale Strukturen zerstört werden, was gerade bei Jugendlichen eine Desorientierung ergibt. Sie haben immer weniger Möglichkeiten, sich zu identifizieren. In einer solchen Situation der Unsicherheit, auch materieller Unsicherheit, sind faschistische Erklärungsangebote natürlich unmittelbar greifend und einleuchtend, auch weil sie platt und einfach sind. Daraus folgt - und da hat die Linke bisher zu wenig gemacht - die Notwendigkeit einer viel intensiveren Auseinandersetzung mit den Angeboten, die die Faschisten machen. Aber Aufklärung reicht nicht aus, es muß den Faschisten auch das Monopol auf die Emotionalität genommen werden.

Ist ein Verbot dieser Organisationen für dich ein probates Mittel der Auseinandersetzung?

Verena Krieger: Ich bin unglücklich darüber, daß die Verbotsforderung derzeit in der Linken so platt schwarz-weiß diskutiert wird. Ich halte überhaupt nicht von dem Verbot der „Nationalen Sammlung“. Zum einen, weil es nichts nützt; zum anderen, weil sie nicht wegen ihrer Ausländerfeindlichkeit, sondern ausschließlich wegen ihrer Gegnerschaft zum Staat verboten wurden. Also eine Begründung, die für uns überhaupt nicht relevant sein kann. Gleichzeitig ist es eine Aufwertung aller anderen Gruppen in diesem Bereich, die damit gleichsam reingewaschen werden.

Unsere Forderung sollte ohnehin nicht ein Verbot, sondern die Auflösung von neofaschistischen Organisationen aufgrund einer antifaschistischen Interpretation des Grundgesetzes sein, allerdings nicht als tagespolitische Forderung. Ich halte das derzeit nicht für wirkungsvoll und relevant. Allerdings sollte man das nicht grundsätzlich für alle Zeiten auschließen. Das ist davon abhängig, welche gesellschaftliche Konstellation und welche Mobilisierung es gibt und wie groß die Bedrohung ist.

Peter Sellin: Ich würde widersprechen. Ich bin kein Verbotsanhänger, aber bei paramilitärischen Organisationen wie der „Nationalen Sammlung“ finde ich ein Verbot richtig. Da würde ich einen Unterschied machen zu den „Republikanern“. Solange die in einen Meinungskampf eintreten, ist der in der Öffentlichkeit zu führen. Es ist eine Schwäche in unserem Spektrum, daß wir nicht in der Lage sind an diese Bevölkerungskreise heranzukommen und sie in eine Auseinandersetzung hineinzubekommen, die sie wegführt von solchen Organisationen.

Verena Krieger: Deine Unterscheidung verharmlost die Nadelstreifenfaschisten gegenüber denen, die als Stiefelnazis auf den Straßen terrorisieren wie die Kühnen -Truppe. Ideologisch unterscheiden die sich in der Konsequenz nicht. Die sind nicht die geringere, ich halte sie gar für die größere Gefahr. Rechtsradikalismus ist auch nicht nur ein Problem von sozial Deklassierten, taucht nicht mehr nur an den Rändern der Gesellschaft auf, sondern wird zunehmend zur Normalität. Ausländerhetze wird am allergefährlichsten, wenn sie durch die CDU im demokratischen Gewand umgesetzt wird. Das ist gefährlicher als der Kühnen mit seiner Truppe.

Fehlen den Grünen inzwischen die Zukunftsutopien, um insbesondere an die jungen Wähler dieser Parteien heranzukommen?

Verena Krieger: Wir können den Jugendlichen nicht bieten, soziale Solidarität in Gruppen auszuprobieren. Wir haben zwar unsere Gesetzesentwürfe und Konzepte, aber wir haben keine Ansätze, dies praktisch und erlebbar zu vermitteln.

Peter Sellin: Unsere Utopien werden aber ganz bestimmt nicht transportiert, indem die Treffen von irgenwelchen neofaschistischen oder rechtsradikalen Organisationen mit Gegendemonstrationen beantwortet werden. Das Solidaritätsmoment wird ja entwickelt, indem der Utopie für eine anderes Leben Ausdruck verliehen wird. Das ist nur möglich, wenn politische und soziale Projekte in die Stadtteile gesetzt werden und wir uns der Auseinandersetzung stellen für eine andere Entwicklung dieser Stadtteile, wo die Jugendlichen Arbeit, Ausbildung und Leben miteinander kombinieren können. Und man kann das Problem offensiv angehen, indem man das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen als positive Utopie entwickelt. Aber indem du gegen etwas anrennst, kannst du einen Solidaritätsbegriff nicht freisetzen, mit dem sich Jugendliche identifizieren können.

Verena Krieger: Es gibt Aspekte, unter denen es sinnvoll und notwendig ist, Verhinderungsaktionen zu machen wie in Schwelm. Solche Aktionen machen immer dann Sinn, wenn sie nicht das zu rekrutierende Potential treffen, sondern die Hardliner und wenn dadurch eine Mobilisierung und politische Bewußtmachung verbunden ist und nicht das Gegenteil.

Bei uns muß eine kritische Selbstreflektion stattfinden, was Antifaschismus heißt. Die Grünen haben in bezug auf Neo -Faschismus selbst Leichen im Keller. Es gibt bei uns Mitglieder der Nationalrevolutionäre, die sich der Ideologie der neuen Rechten, insbesondere des Ethno-Pluralismus verpflichtet fühlen mit Forderungen nach geschlossenen Siedlungsgebieten für Ausländer. Da passiert eine Vermengung von linken, oder ökologischen Argumentationslinien mit faschistoiden Gedanken.

Der Bundeshauptausschuß der Grünen hat gesagt, wir stimmen im Wahlausschuß der Teilnahme der DVU zu den Europawahlen nicht zu. Ist das politisch sinnvoll?

Peter Sellin: Das ist ein hilfloses Unterfangen. Es ist kennzeichnend, daß die Grünen keinen anderen Weg gehen. Notwendig wäre, deutlich zu machen, wir haben ein anderes Bild von Europa und dem Zusammenleben der Völker, von einer multikulturellen Gesellchaft. Statt dessen geht man umgekehrt heran, macht daraus einen Kampf gegen Neo -Faschismus. Diese Strategie gefällt mir nicht.

Wie stehst du zur Position der Autonomen, die Faschisten zu schlagen, wo man sie trifft?

Peter Sellin: Eine Erfahrung der Auseinandersetzung von sich links nennenden Autonomen und faschistoiden Gruppen ist, daß sie sich gegenseitig anziehen. Sie suchen die Auseinandersetzung so, daß es jeweils in einer Konfrontation endet, aber das eigentliche Problem wird nicht bearbeitet. Methode der Grünen darf nicht sein, diese Auseindersetzung mit einem Nullsummenergebnis zu führen, weil es den Rechten in die Arme spielt.

Verena Krieger: Das trifft nicht zu. Die Rechten rekrutieren die Mitglieder gerade mit dem Anreiz von Gewalt. Das macht die Attraktivität von faschistischen Gruppen aus, zu wissen, da kann man sich prügeln. Es ist nicht so, daß die Gewaltbereitschaft erst entstünde, wenn irgendwelche Autonomen anrücken. Antifaschistischer Kampf muß auch auf der Straße stattfinden. Aber für jede Aktion gilt, daß sie politisch vermittelbar sein muß und Sinn macht und Bewußtseinsprozesse in Gang setzen kann und es nicht um das Prinzip willen um eine Prügelei geht. Das Gespräch führt

Gerd Nowakowsk