Wehe dem Künstler, der sich scheiden läßt

Alles, was er geschaffen hat, kann gegen ihn verwandt werden / Im Rahmen einer Zugewinnsklage müssen Künstler auch für Kritzeleien, die in ihrer Schublade vergammeln, hohe Geldbeträge zahlen / Berliner Bank für Handel und Industrie will Etappenniederlage gegen einen Bildhauer nicht hinnehmen und ist jetzt in die Berufung gegangen  ■  Von Heidi Wentsch

Als der Herr die Welt schuf, konnte er von Glück reden, daß er nicht verheiratet war. Andernfalls hätte er bei einer Scheidung möglicherweise für sein eigenes Werk bezahlen müssen. Dies zumindest scheint die juristische Auffassung schöpferischer Tätigkeit zu sein, wenn man das göttliche Tun mit künstlerischem Schaffen gleichsetzt. Vor allem bildende Künstler sehen sich, wenn ihre Ehe in die Brüche geht, oft mit einer juristischen Groteske konfrontiert.

So rauft sich denn Reiner Schwarz derzeit das gelockte Haar. Der Berliner Maler und Grafiker hat, seit er in Scheidung lebt, eine Klage am Hals. Seine Frau fordert ihren Anteil an den Grafiken, die ihr Gatte während der Ehe geschaffen hat - und zwar in Form einer sogenannten Zugewinnzahlung. Dabei handelt es sich nicht etwa ausschließlich um Kunstwerke, die Schwarz verkauft oder wenigstens zum Verkauf bestimmt hatte. Nein: „Da geht es um jedes ein bißchen bekritzelte Blatt, das jetzt plötzlich einen Wert haben soll“, wie der Künstler befremdet feststellt. Schwarz soll nun zahlen für in der Schublade ruhende Probedrucke und Belegexemplare des Schwarzschen Gesamtwerks, die er „nie in den Handel geben würde“. Dies zu beweisen, mußte der Grafiker unter den wachsamen Augen seiner Gattin einen Strich durch jedes unverkäufliche Werk ziehen. Nichtsdestoweniger gipfelte der von einem Sachverständigen geschätzte Wert der verbleibenden Kunstwerke in einer beträchtlichen Summe: Rund eine halbe Million Mark Zugewinn soll der Grafiker seiner Verflossenen ausbezahlen.

Die Gerechtigkeit ist, wie's scheint, auf der Seite der Klägerin. Das Scheidungsrecht nämlich sieht vor, daß die gemeinsamen Vermögenswerte eines Ehepaares, wie Immobilien, Möbel usw., nach der Trennung redlich geteilt werden sollen

-und dies in Form eines geschätzten Geldbetrags. Zwar sind urhebergesetzlich geschützte Kunstwerke steuerrechtlich gesehen kein Vermögen, doch scheint dieser Umstand im Falle einer Ehescheidung plötzlich nicht mehr relevant zu sein.

Die bittere Pille der Zugewinnregelung soll auch der Braunschweiger Bildhauer Jürgen Weber schlucken. Seit seiner Scheidung, 1980, ist er in ein Gewirr von juristischen Spitzfindigkeiten verstrickt. „Mein Fall ist besonders absurd“, seufzt der geplagte Künstler, nicht ganz zu Unrecht: 1984 starb seine Ex-Gattin in Berlin, ihrem damaligen Wohnort. Aber der nacheheliche Zwist ging auf makabre Weise weiter, weil die ehemalige Künstlersgattin ein Jahr vor ihrem Tod eine Zugewinnklage gegen ihren Ex-Mann eingereicht hatte. Corpus delicti waren auch hier Kunstwerke, die der Bildhauer als unverkäuflich erklärt hatte. Es handle sich, so Webers Begründung, zum Großteil um tagebuchähnliche, künstlerisch umgesetzte Erinnerungsstücke, die allein für ihn selbst einen Wert besäßen.

Mit dem Dahinscheiden seiner Ex-Frau war das Verfahren gegen Weber allerdings noch lange nicht gestorben. Die Tote nämlich hatte bei der Bank für Handel und Industrie (BHI) zu Berlin rund 80.000 Mark Schulden hinterlassen - und das, obwohl Weber ihr nach der Scheidung etwa 400.000 Mark Cash und zusätzlich regelmäßigen Unterhalt bezahlt hatte. Verständlich, daß die Hinterbliebenen das Erbe dankend ablehnten.

Der damit herrenlos gewordene Nachlaß - die Schulden also gereichte dem Staat West-Berlin zum Anlaß, die Klage gegen Weber durch einen Nachlaßpfleger wiederaufzunehmen. In der ersten Instanz errang Weber noch einen Teilsieg in bezug auf Kleinplastiken und Zeichnungen, die er während seiner Ehe geschaffen hatte und die nun in seiner gute Stube stehen. Aber jetzt haben die Kläger Berufung eingelegt. Der Zoff nimmt kein Ende.

Veranlaßt hat das „Goliath-gegen-David„-Match anfangs offenbar die Dresdner-Bank-Tochter BHI selbst. Sie habe schließlich, wie vom Geldinstitut verlautet, ein rein wirtschaftliches Interesse daran, daß die Nachlaßforderungen eingehalten würden: Der Dresdner-Ableger will seine achtzig Mille wiederhaben.

Auch Reiner Schwarz hat seine liebe Not mit Pecunia: „Wenn ich die Zahlen akzeptiert hätte“, räumt er ein, „hätte es zwar keine Auseinandersetzung gegeben, aber ich wär pleite.“ Doch das ist nicht das größte Problem für den Grafiker. Vielmehr sieht er sich in seiner persönlichen Freiheit beschnitten, die Qualitätsmerkmale seiner Schaffensfrüchte selbst zu bestimmen. Ein Gutachter könne unmöglich feststellen, ob ein Werk fertig und gelungen sei, somit also verkäuflich. „Da ist eine Menge an Leinwänden angefallen, die nicht mal vollendet worden sind“, stöhnt Schwarz. Aber auch Mozarts Requiem wurde nie vollendet - und trotzdem geben die Leute heutzutage Geld für die Platte aus. So zumindest könnte die juristische Argumentation lauten. Aber Mozart ist tot. Pech für Schwarz, daß er noch lebt. Denn: Kunst ist Geld - einen Unterschied zwischen materiellen und ideellen Werten macht das Auge des Gesetzes offenbar nicht.

„Die Rechtslage ist ganz einfach“, resümiert Arnold Heidemann, Anwalt der Klägerseite im Fall „Berlin gegen Bildhauer Weber.“ Künstlers PartnerIn habe ein Recht auf einen angemessenen Anteil an den Kunstwerken der kreativ tätigen anderen Ehehälfte. Reiner Schwarz bringt die Früchte der Gerechtigkeit auf den Punkt: „Man muß die Hälfte seiner Arbeit kaufen, um weiter existieren zu können.“ So irrsinnig dieser Satz auch anmutet, juristisch ist er logisch.

Doch muß der von einem Sachverständigen geschätzte Wert von Kunstwerken nicht stets fiktiv bleiben? Ist Kunst nicht erst dann wertvoll, wenn sich jemand findet, der bereit ist, dafür Geld auszugeben? Diese Fragen hat sich auch Jürgen Weber oft genug gestellt. „Hier“, ereifert sich der Bildhauer, „wird Kasse gemacht mit etwas, von dem die Künstler und alle anderen genau wissen, daß eigentlich keine Kasse damit zu machen ist.“ Es werde sogar doppelt abkassiert, konstatiert Reiner Schwarz: Auf der einen Seite in Form der Zugewinnzahlungen, errechnet aus dem Vermögen, das schließlich beiden Ehepartnern genug zum Leben geboten habe. Auf der anderen Seite in Form des Unterhalts, abgezweigt vom Verdienst des zahlungspflichtigen Partners. „Man kann“, ärgert sich der Grafiker, „doch eine Kuh nicht melken und gleichzeitig schlachten.“

Eine solche Rechtslage bringt nach Ansicht Jürgen Webers eine zusätzliche, untragbare Belastung für den ohnehin auf wackligen Beinen stehenden Beruf eines Künstlers. Nach Schwarz‘ Dafürhalten ist es nie kalkulierbar, ob Kunst gerade dem Zeitgeist entspricht. Der Kunstmarkt sei viel zu willkürlich, als daß man seine Werke immer gleich an den Mann oder die Frau bringen könne. Anstatt die Kunst und das Urheberrecht des Künstlers zu schützen, scheint das Gesetz hier nach der Devise zu verfahren: Alles, was Sie schaffen, kann gegen Sie verwandt werden - zumindest dann, wenn die Ehe zu Bruch geht.