Kohl: Die Zeit sorgt für bessere Wähler

■ Am liebsten würde Kohl nach der Hessenwahl zur Tagesordnung übergehen / „Wir machen eine ganz ausgezeichnete Politik“ / Zentralrat der Juden „zutiefst besorgt“ über anhaltenden Rechtstrend / FDP will sich demnächst mit Koalition beschäftigen

Bonn/Berlin (taz) - Helmut Kohl mochte auf Walter Wallmann nicht hören: „Wir dürfen auf keinen Fall zur Tagesordnung übergehen“, beschwor der hessische Ministerpräsident gestern seinen CDU-Vorsitzenden. Doch genau dies, so schien es, hat der Bundeskanzler vor.

Einen Tag nach den Kommunalwahlen in Hessen mußte sich gestern die CDU in Bonn mit dem niederschmetternden Ergebnis ihrer hessischen Mannschaft beschäftigen.

In den fünf kreisfreien Städten sowie in den 21 Kreistagen des Bundeslandes kamen die Christdemokraten auf 34,3 Prozent (1985: 41,1), die SPD auf 44,8 Prozent (43,7), die Grünen auf 9,1 (7,1) und die FDP auf 4,9 Prozent (5,3) der Stimmen. Die rechtsextreme NPD schaffte in Frankfurt 6,6 Prozent und in den anderen Orten, wo sie angetreten war, auf Anhieb den Sprung in die Parlamente. In der Mainmetropole, wo der Kommunalwahl starke Signalwirkung und bundespolitische Bedeutung beigemessen wurde, wird der künftige Bürgermeister der Sozialdemokrat Volker Hauff sein. Die FDP wird wieder nicht in den Römer einziehen. Die SPD kündigte gestern schon an, wer ihr Kandidat bei der Landtagswahl 1991 sein wird: der Kasseler Oberbürgermeister Hans Eichel.

In Bonn verbreitete Kohl auf einer Pressekonferenz gestern alles andere als den Eindruck, die Union steuere nun den politischen Kurswechsel in wichtigen Fragen an. Im Gegenteil: Nach ganz kurzen einleitenden Bekundungen des Bedauerns über das Wahlergebnis lobte er ausführlich seine Regierung, für die geplante Rentenreform etwa und die bevorstehende Postreform. Kohl hofft, daß nach Erledigung dieser und anderer umstrittenen Reformen die Zeit für bessere Wählergunst sorgen werde. Völlige Ratlosigkeit anders sind die Bonner Verlautbarungen kaum zu deuten. Da behauptete Kohl allen Ernstes, ihn stimme das Ergebnis für Rot-Grün eigentlich nachdenklicher als das der Union. Er plauderte über die Prägung seiner Partei - „christlich, freiheitlich-liberal, wertkonservativ, wie sie wissen“. Und seine Erklärung für die hessische Wahlniederlage ist genau die gleiche wie die für alle Niederlagen der letzten Zeit: „Wir machen eine ganz ausgezeichnete Politik, nur rüberbringen können wir's im Moment nicht so gut.“

Dennoch: Ganz schwach zeichnete auch Kohl gestern die wohl bevorstehende Linie in der CDU im Umgang mit dem rechten Rand vor.

Wallmann rechtfertigte den ausländerfeindlichen Wahlkampfstil der hessischen CDU - Kohl distanzierte sich davon nicht. CDU-Generalsekretär Geißler hat gestern dagegen gefordert, die CDU müsse entschieden gegen ultrarechte Parteien und Gruppierungen vorgehen. Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel hat einer Öffnung nach links als Konsequenz aus den hessischen Wahlergebnissen eine Absage erteilt.

Für den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Carl -Ludwig Wagner, ist nicht sicher, ob die CDU bei den dort anstehenden Kommunalwahlen besser abschneiden wird als in Hessen. Eine Akzentverschiebung dürfe es aber nicht geben. Die Union habe sich immer zu Vaterland, Patriotismus und zur deutschen Geschichte bekannt.

Für den FDP-Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff ist das Wahlergebnis kein Anlaß, „den Kopf zwischen die Knie zu stecken“. Auf Anregung seiner Stellvertreterin Irmgard Adam -Schwaetzer werde sich sein Parteipräsidium demnächst in einer Klausurtagung mit der Lage der Koalition beschäftigen.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland äußerte sich zutiefst besorgt über das Ergebnis in Hessen. Sein Vorsitzender Heinz Galinski sagte in Berlin, es hätten sich Befürchtungen bestätigt, daß Berlin kein Einzelfall gewesen sei, „sondern daß der Ruck nach rechts und die Abkehr von den demokratischen Parteien den Trend der Bundesrepublik im 40.Jahr ihrer Existenz darstellen“.

Ferdos Forudastan/bg Siehe Tagesthema Seite 2 und 3