10.000 Überschriften: Pflegekräfte gingen aus den Krankenhäusern/Sie wollen zumutbare Arbeitsbedingungen, nicht nur mehr Geld/Schwester betreut bis zu 36 Patienten

„Wenn wir hier die Kittel über die Pforte hängen, dann heißt das, daß wir auch bald unseren Beruf an den Nagel hängen.“ Mit ausgefallenen Aktionen an neun verschiedenen Berliner Krankenhäusern machten gestern Schwestern und Pfleger ihrem Unmut Luft. Anlaß: Der zunehmende Pflegenotstand in den Kliniken und die heute anlaufende zweite Runde der bundesweiten Tarifverhandlungen zwischen ÖTV und Arbeitgebern. „Es ist ja gar nicht so, daß die Schwestern einfach mehr Geld haben wollen“, so eine Schwester vor dem Krankenhaus Moabit. „Die Arbeitsbedingungen sind einfach unzumutbar.“ So müssen Berliner Pflegekräfte monatlich bis zu 10.000 Überstunden leisten, und es ist kein Einzelfall, daß eine Schwester mit Hilfe eines Schülers 36 Patienten allein betreut. Die Ausbildungsbedingungen sind katastrophal, nur selten werden die Schüler auf den Stationen ausreichend angelernt.

Die Misere ist auch dem künftigen Senat bekannt. In ihrem Koalitionspapier haben sich SPD und AL für eine Verbesserung der Pflege ausgesprochen. Konkret heißt das für den gesundheitspolitischen Sprecher der SPD, Reinhard Ross, daß zuallererst die Arbeitszeitverkürzung ab dem 1.April durch 1.725 neue Stellen voll ausgeglichen werden soll. Beschäftigte in der Geriatrie erhalten außerdem ab Juli dieses Jahres eine Sonderzulage von 300 Mark. Finanziert werden sollen diese Pläne aus einem Zusatztopf in Höhe von 240 Millionen Mark, den AL und SPD zusätzlich dem Bereich Jugend, Soziales und Gesundheit zur Verfügung stellen wollen. Doch die gesundheitspolitische Sprecherin der AL, Gisela Wirths, selbst Krankenschwester, ist damit noch nicht ganz zufrieden. „Ein Zuschuß für Pflegekräfte auf Landesebene, das ist leider nicht durchzusetzen gewesen.“ Deshalb können auch nicht direkt mehr Stellen geschaffen werden, denn die Finanzierung der Pflegekräfte liegt in den Händen der Krankenkassen. Doch, so Ross, Gespräche mit den Kassen sind geplant, „sobald der neue Senat steht“.

Noch ein weiteres Trostpflaster hält Wirths für die Schwestern und Pfleger bereit, wenn auch erst für die Jahre 1990/91: Dann nämlich greift das neue Gesundheitsreformgesetz, durch das die Krankenkassen neuerdings verpflichtet sind, die Kosten für die medizinische Betreuung chronisch Kranker selbst zu übernehmen. Wirth: „Somit werden Landesmittel eingespart, durch die neue Stellen geschaffen werden können.“

Die Forderung der ÖTV, daß sämtliche Pflegekräfte eine Berlin-Zulage von 300 Mark erhalten, kann also auch der rot -grüne Senat erst mal nicht erfüllen. Elisabeth Cramer, Schwester im Urban-Krankenhaus, ist dennoch ganz zufrieden. „Wenn erst einmal anerkannt wird, daß die Pflege in Not ist, sind wir schon einen großen Schritt weiter. Aber es reicht noch nicht aus.“

Martina Habersetzer