Solidarität mit Salman Rushdie

■ Am 9.März 1989 gab es in Berlin eine Veranstaltung zur Unterstützung Salman Rushdies. Yaak Karsunke verlas dort den hier folgenden Beitrag.

Yaak Karsunke

Wer Bücherverbrennung und staatliche Mordhetze gegen einen Schriftsteller für beispiellose Vorgänge hält, der braucht in Deutschland - ein kurzes Gedächtnis. Hier in Berlin wurde der letzte öffentliche Scheiterhaufen für Bücher vor 56 Jahren, am 10.Mai 1933 errichtet - verboten und verbrannt wurde in der Folge so gut wie alles, was in der deutschen Literatur jener Jahre Rang und Namen besaß.

Einer dieser Namen war Theodor Lessing. Der sechzigjährige Philosoph und Schriftsteller ging am 1.März 1933 ins Exil keinen Tag zu früh. Noch am Abend seiner Flucht überfiel SA seine Villa in Hannover und tobte, als sie den Besitzer nicht mehr vorfand, ihre Wut am Mobiliar aus. Lessing ließ sich in Marienbad nieder und führte da seinen Kampf gegen die Nazi-Diktatur weiter.

Am 28.Juni 1933 kolportiert eine sudetendeutsche Zeitung das Gerücht, auf Lessing sei eine „Fangprämie“ von 40.000 Reichsmark ausgesetzt und inzwischen von der deutschen Reichsregierung auf 80.000 Reichsmark verdoppelt worden. Der Verfasser dieser Meldung nennt als Informanten „nationalsozialistische Kreise“. Lessing erwirkt über einen Anwalt einen Widerruf dieser Meldung; die Prager Behörden ordnen dennoch eine polizeiliche Bewachung von Lessings Wohnsitz rund um die Uhr an.

Am späten Abend des 30.August 1933 wird Lessing in seinem Arbeitszimmer von zwei Pistolenschüssen in den Kopf getroffen, er stirbt wenige Stunden später. Die Mörder entkommen nach Deutschland, wo sie von SA-Leuten empfangen und nach Nürnberg eskortiert werden, zum eben eröffneten Parteitag der NSDAP. Sie erhalten SA-Uniformen, neue Identiäten - und weitaus weniger Geld, als das Gerücht ausgelobt hatte: Der Haupttäter gibt an seinen Komplizen genau fünfzig Reichsmark weiter. Dieser Komplize nennt 1936 in einem Brief als Auftraggeber den Stabschef der SA und einen SA-Obergruppenführer, der zur Tatzeit Staatssekretär in Bayern war.

Seit Ayatollah Khomeini beschlossen hat, seine schwankende Machtbasis durch ein weiteres Menschenopfer zu festigen und deshalb eine Mordprämie in Millionenhöhe auf den Kopf des Schriftstellers Salman Rushdie aussetzen ließ, habe ich viel über die Unterschiede zwischen Mittelalter und Neuzeit, zwischen Islam und Christentum, zwischen östlichen und westlichen Kulturen gehört und gelesen. Das Beispiel Lessing - denke ich - beweist die Ablenkungs- und Verdrängungsfunktion solcher Betrachtungen. Wir haben 1933 keine Mullahs gebraucht, um Hetzparolen in die Welt zu setzen; die „Feuersprüche“ wurden damals vom „Hauptamt für Aufklärung und Werbung der deutschen Studentenschaft“ ausgegeben, und gleich der zweite lautete:

Gegen Dekadenz und moralischen Verfall

Für Zucht und Sitte in Familie und Staat“

-die Namen, die damals folgten, waren Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.

Es gibt keinen Grund zu Selbstgerechtigkeit und Selbstüberhebung. Die Barbarei kann an vielen Orten und zu allen Zeiten wiederaufleben. In welchen ideologischen Mantel sich der Fanatismus dabei hüllt, hängt von den jeweiligen Umständen ab. Ob Hammer und Sichel, Kreuz oder Halbmond unter jedem Feldzeichen ist gefoltert und gemordet worden, und keines dieser Symbole war von allem Anfang an so als Mordsignal errichtet wie das Hakenkreuz. Wir haben, angesichts der eigenen Nationalgeschichte, wahrhaftig keinen Grund, uns über andere Völker, Kulturen oder Religionen zu erheben.

Wir haben allerdings auch keinen Grund, uns von einem Regime, das sich im eigenen Land nur durch Tausende von Hinrichtungen am Ruder halten kann, in eine Debatte über verletzte Gefühle oder kulturelle Differenzen verwickeln zu lassen. Eine Gesellschaft, zu deren sadistischen Ritualen es gehört, durch Folter und Todesdrohung gebrochene Menschen öffentlich im Fernsehen zur Schau zu stellen, verletzt die Gefühle jedes zivilisierten Menschen mit jeder Wiederholung dieses ekelhaften Schauspiels aufs neue. In jener eigentümlichen Sensibilität, die nichts dabei findet, wenn Kindersoldaten in Minenfelder geschickt oder Dieben die Hände abgehackt werden, die sich aber von ein paar Seiten eines Romans unerträglich verletzt fühlt, wünschen wir nicht unterwiesen zu werden. Ein Regime, das sich durch die Abwesenheit jeder politischen Kultur auszeichnet, hat nicht das mindeste Recht, sich über ein literarisches Werk auch nur zu äußern - geschweige denn, darüber zu urteilen.

Zu den Kennzeichen politischer Wahnsysteme gehört es freilich, sich zum Weltenrichter aufwerfen zu wollen. Den Machthabern des Iran genügt es nicht, ihr eigenes Volk zu unterdrücken, sie wollen uns alle ihrer anmaßenden Intoleranz unterwerfen. Herr Khomeini hat die Welt wissen lassen, daß nicht nur Salman Rusdie, sondern „alle, die an der Veröffentlichung des Buches beteiligt waren und dessen Inhalt kannten, zum Tode verurteilt sind“. Das ist der Angriffsbefehl der Barbarei gegen die Kultur, in der wir leben. Sie ist eine Kultur des Dialogs, auch des streitbaren - aber keine Killerkultur. Von einem prominenten Nationalsozialisten ist der Ausspruch überliefert, wenn er das Wort „Kultur“ höre, entsichere er seinen Revolver. Daß dieser Typus bei uns nicht mehr das Sagen hat, ist nicht unser Verdienst. Viele Menschen aus vielen Ländern haben dafür ihr Leben lassen müssen. Wir stehen heute vor der Frage, ob wir die Errungenschaften wenigstens verteidigen wollen, die wir nicht selbst erkämpft haben.

Die Antwort auf diese Frage kann nicht leichtherzig gegeben werden. Es ist legitim, auf Morddrohungen mit Angst zu reagieren - nur: Lähmen lassen sollte man sich von ihr nicht. Wer einem Erpresser nachgibt, ermuntert ihn nur. In Berlin ist in der vergangenen Woche einem Buchhändler angedroht worden, es werde „etwas passieren“, falls er eine deutsche Ausgabe der Satanischen Verse verkaufe.

Die Reaktion auf diese Bedrohung kann nur darin bestehen, sich mit den Bedrohten zu solidarisieren. Schriftsteller in aller Welt haben das in den letzten Wochen getan. Gerade deutsche Autoren wissen, was aus einer Gesellschaft wird, die das Urteil über Literatur welchem Zensor auch immer ausliefert. Wir wissen, daß Heinrich Heine recht behalten hat mit seiner Warnung, wo man Bücher verbrenne, verbrenne man am Ende auch Menschen. Erich Kästner hat in seiner Rede zum 25.Jahrestag der Bücherverbrennung am 10.Mai 1958 in Hamburg gesagt: „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. (...) Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muß den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“ Am Schluß dieser Rede nannte er als Fazit seiner Erfahrungen den Kampf gegen drohende Diktaturen „eine Angelegenheit des Terminkalenders, nicht des Heroismus“.

Auf dem Terminkalender des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland stand vor vierzehn Tagen eine Sitzung des Präsidiums, das dabei folgendes Telegramm an den Internationalen P.E.N. in London geschickt hat:

„Angesichts der Morddrohungen fanatischer Machthaber ist internationale Solidarität unverzichtbar, um die Freiheit des Wortes und die Prinzipien der P.E.N.-Charta gemeinsam zu verteidigen.

Das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland bittet den Internationalen P.E.N., in Zusammenarbeit mit möglichst vielen nationalen Zentren, die Funktion des Herausgebers von Rushdies Buch zu übernehmen. Wir schlagen vor, daß bei jeder Publikation des Buches, in welchem Land immer, der Internationale P.E.N. und alle Zentren aufgeführt werden, die die Aktion mittragen.

Das P.E.N.-Zentrum Bundesrepublik Deutschland erklärt sich bereit, solche Mitherausgeberschaft unter der Ägide des Internationalen P.E.N. zu übernehmen.“

Redebeitrag für die Veranstaltung „Solidarität mit Salman Rushdie“ am 9.März 1989 um 20 Uhr in der Hasenheide (Schultheiss-Saal) in Berlin, unter der Schirmherrschaft des Berliner Kultursenators und des P.E.N.-Zentrums Bundesrepublik Deutschland veranstaltet vom: Literaturhaus Berlin, Amerika Gedenkbibliothek, Berliner Verleger- und Buchhändlerverband, Literarisches Colloquium Berlin, Urania, VS & NGL