Die ungerösteten Peanuts des Pop

■ „They Might Be Giants“ werfen heute Popperlen, Astgabeln und gelegentlich einen schiefen Akkordeon-Ton in den „Römer“, denn: „Es ist falsch, den Leuten als Virtuose entgegenzutreten.“

John Flansburgh ist weder klein noch dick. Aber er sieht irgendwie klein aus. Und rundlich. Ein amerikanischer College-Student mit Hornbrille und Charlie-Brown-Appeal. John hat einen Freund. Der kommt auch aus Boston, wohnt jetzt im selben New Yorker Mietshaus wie Flans

burgh (was dazu führen kann, daß man sich auf dem Hausflur trifft und eine Band gründet) und heißt wie dieser John, aber dahinter Linnell. Linnell, für Flansburgh stets „the other John“ und umgedreht, hat Lockenhaar bis über die Nase hinaus. „I look like Jesus, so they say / But Mr. Jesus is very far

away“ singt John Linnell mit mächtig zarten Schultern in „Kiss Me Son Of God“ und zärtelt mit seinem Akkordeon. Das Akkordeon: „In dem Musik-Geschäft in New York hatten sie ein ganzes Regal voll mit Akkordeons. Und einen Staubwedel daneben. Akkordeons gingen damals in New

York nicht so gut.“ Linnell erzählt solche Geschichten gern. Er hat die schlichte Lakonie von Linus und ein Akkordeon als Schmusedecke.

Flansburgh und Linnell sind zusammen They Might Be Giants, eine Art Peanuts des Indie-Pop „from Brooklyn, New York“, wie sie wohlwissend um den Großstadt-Mythos vor deutschem Provinzpublikum gern und häufig betonen. Zwei Johns mit dem Blockhead-Charme der Kindheit nach der Reife und einer Art atonaler Popmusik aus Akkordeon, Punkgitarre, einem Haufen Tapes mit anderen Instrumenten drauf (mit denen beim Live -Konzert stets irgendetwas schief läuft), 362 Einfällen pro Minute und fast ebenso vielen Giants-Songs auf Flansburghs „answering machine“ - einem popmusikalischen Anrufbeantworter für den Dial-a-song-Service. Um das tägliche Wechseln des Songs kümmert sich zur Deutschland -Tournee die Tochter von Flansburghs Landlady. Dial-a-song belegt der Einfachheit halber des einen John Privattelefon, so daß Freunde seither mitten in den angewählten Song hinein angehalten sind zu brüllen „Heeeeey, Flansburgh, it's meeeeee“, auf daß Flansburgh abnehme und ein normales Telefongespräch führe. „Am Dial-a-song-Service kann jeder teilnehmen“, sagt Linnell popdemokratisch, „Du mußt in keinen Club gehen und in kein Plattengeschäft, Du kannst alles von zuhause aus machen. Ein Gedanke, der uns sehr nahe liegt.“ Die beiden Johns gelten als häuslich.

„Es macht keinen Spaß, drei Stunden auf eine Band zu warten, nur damit die Leute konsumieren

und die Club-Besitzer ihr Geld verdienen“, verwirft Linnell etwa die New Yorker Club-Szene.

They Might Be Giants sind dagegen definitiv eine Spaßband: Sie fangen pünktlich an, sie lassen immer jemanden aus dem Auditorium mit einer teutonischen Astgabel den Takt zu einem ihrer kleinen Meisterwerke wummern, sie freuen sich artig über „such a deep understanding of polka“ des deutschen Poppublikums, und, wenn der Mixer sich nicht gerade in den Tapes verheddert hat, spielen sie alle meine Lieblingslieder mit solch wirklich hübschen Tiefsinn wie in „Pencil Rain“, dem Song über den holzsplitternden Heldentod einer Bleistift -Armee. Zu so trefflichen Lyrics wie „Stand On Your Own Head“ gibt es ein musikalisches Stilgemisch aus Cajun, Polka, Beatles, Frank Sinatra, Punkgehupfe, Showbiz-Schnulz, Country und Marschmusik. Die Stücke sind schön kurz, zwanzig davon passen auf eine Giants-LP, die sich trotz Indie -Vertrieb derweil in Stückzahlen von weit über 100000 verkaufen lassen und in die US-Billboard-Charts auf Platz 84 kullern.

Dabei ist bei den Giants alles in etwa von dieser unpopulären, weil Denk- und Hörgewohnheiten überschreitenden Unbefangenheit wie Sally sie gern zu den Schulaufgaben ins Heft legt: Sally: „Als Hausaufgabe sollen wir einen Sonnenuntergang beschreiben.“ - Charlie Brown: “?“ - Sally: „Ich habe geschrieben 'Die Sonne ging unter, so rot wie eine Banane‘. Es geht doch nichts über Poesie. Findest Du nicht auch?“

Petra Höfer