Unterhaltspflicht soll weg

■ SPD ist dafür, will aber nicht beschließen / Noch zahlen Eltern für arme Kinder und umgekehrt

Max ist 18 geworden und will endlich eine eigene Bude. Mit seinen Alten liegt er schon länger quer, jetzt ist er volljährig und kann den Absprung ins Auge fassen. Doch da ist ein Problem: Es fehlt die Kohle. Als Max Sozialhilfe beantragen wollte, hat das Sozi abgewunken: „Unterhaltspflicht der Eltern“, hieß es. Staatsknete ist also nicht, die Alten denken auch nicht dran, was lockerzumachen - aus der Traum von eigenen vier Wänden.

Erna ist 72 Jahre alt und hat einen Horror vor dem Altersheim. Sie will lieber zwischen ihren eigenen Möbeln bleiben. Deshalb hat sie eine Hauspflegerin beantragt, die ihr beim Einkauf und der Wäsche zur Hand geht. Allerdings langt die kleine Witwenrente gerade mal fürs Gröbste, Hauspflege ist aber teuer. Deshalb war auch Erna beim Sozi und bat um Beihilfe. „Unterhaltspflicht der Kinder“ hieß es dort, nicht der Staat, sondern die liebe Familie soll für Omas Pflege löhnen. Doch das mochte Erna ihren Kindern nun wirklich nicht zumuten - und biß in den sauren Apfel Altersheim.

Daß solche „Heranziehung Unterhaltspflichtiger in die ambulante Sozialhilfe“ nicht nur unsozial, sondern auch noch familienschädlich ist, hat auch die Bremer Sozial-Deputation eingesehen. Deshalb forderte sie mit den Stimmen von SPD, CDU und Grünen die Behörde auf, künftig generell von einer Ausnahmeklausel des Sozialgesetzes Gebrauch zu machen, die im Härtefall einen Verzicht auf die familiäre Unterhaltspflicht ermöglicht. Nur die FDP wollte nicht und grummelte etwas von „Abwälzen der Familien-Verantwortung auf den Staat“.

Die SPD-Fraktion weiß, wieviel Deputations-Empfehlungen wert sind - und schmiedete einen wasserdichten Dringlichkeitsantrag für die Bürgerschaft, der das Sozi zu dem neuen sozialen Vorgehen verpflichtet hätte. CDU und Grüne waren einverstanden, doch dann kam eine plötzliche Wende: Über Nacht strich der SPD-Fraktionsvorstand das Wort „dringlich“ über dem Antrag und änderte den Text in eine reine Empfehlung um. Zu allem Überfluß kippte der Punkt dann auch noch von der Tagesordnung der letzten Bürgerschafts -Sitzung. Beim nächsten Mal soll nun nur noch beschlossen werden, daß „die Stadtbürgerschaft die Entscheidung der Deputation für Soziales begrüßt“ - eine Formulierung, die alle Türen offen läßt.

„Ziemlich verhohnepiepelt“ fühlt sich nun der grüne Sozialexperte Horst Frehe. Schließlich wäre die Aufhebung der Unterhaltspflicht ein „erster kleiner, aber wichtiger Schritt in Richtung Grundsicherung“ gewesen. Und kostengünstig dazu: Ganze 4,3 Mio Mark jährlich, das sind nur 0,7 Prozent des Sozialhilfe-Etats, würde die Abschaffung der Unterhaltspflicht kosten, hatten Behörden-Experten ermittelt. Gleichzeitig könnten mindestens zwei Millionen Mark Verwaltungskosten wieder eingespart werden.

Die Grünen wollen nun den SPD-Begrüßungs-Antrag auf der nächsten Bürgerschaftssitzung um einen Satz ergänzen: „Die Stadtbürgerschaft erwartet vom Senat, den Beschluß der Deputation (...) unverzüglich umzusetzen.“ Max und Erna würden sich freuen.

Dirk Asendorpf