„Ich wollte mal was Neues ausprobieren“

■ Kriminalbeamter des Staatsschutzes wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt / Er hatte eine junge Frau sexuell genötigt, gefesselt, mißhandelt und versucht, sie zu vergewaltigen / Strafmilderung, weil er der Frau 12.000 Mark Schmerzensgeld zahlte

„Wenn die Stimmung an dem lauen Frühlingsabend nicht schon sexuell aufgeladen gewesen wäre, wäre es zu 99 Prozent nicht zu der Tat gekommen“, zog der Vorsitzende Richter Föhrig gestern am Ende eines Vergewaltigungsprozesses Bilanz. Verantworten mußte sich ein 41jähriger Kriminal -Oberkommissar des Staatsschutzes, der die 23jährige Freundin seines Bruders im Mai '88 geschlagen, gefesselt und sexuell mißhandelt hatte. Der Prozeß endete mit zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen vorsätzlichen Vollrausches, weil der Kriminal-Oberkommissar Wolfgang W. bei der Tat mindestens drei Promille Alkohol im Blut hatte. Strafmildernd wertete das Gericht, daß er der Geschädigten Silvia S. vor Verhandlungsbeginn 12.000 Mark Schmerzengeld angeboten und sich einer zurückhaltenden Verteidigungsstrategie bedient hatte. „Angemessen“ berücksichtigt wurde auch, daß sich der Angeklagte mit der Tat Beruf und Karriere vermasselte. Der seit der Tat vom Dienst suspendierte Wolfgang W. galt als wertvoller Mitarbeiter im Staatsschutz. Er war während der Lorenz -Entführung (1975) in die Behörde geholt worden und hatte sich dort nach Fortbildungen in den Führungsstab hochgedient. „Wir guckten sehr hoffnungsvoll auf ihn und hatten alsbald die Absicht ihn weiter aufsteigen zu lassen“, sagte der Leiter des Staatschutzes, Hans Kaiser (58) als Zeuge.

Wolfgang W. gab an, zu den ihm zur Last gelegten Vorwürfen kaum etwas sagen zu können, weil er betrunken gewesen sei, wie nie zuvor in seinem Leben. Begonnen habe alles auf seinem Balkon in der Wohung am Kaiserdamm, wo er an Himmelfahrt mit seinem aus München angereisten Bruder Bernhard und dessen Freundin Silvia zu Abend gegessen habe. Zunächst habe ihn Silvia „immer so angeguckt“, und sich später auf seinen Schoß gesetzt, sagte Wolfgang W. Später sei Silvia ins Bett verschwunden, aber nicht auf die Gästecouch, wo sie mit dem Bruder nächtigte, sondern in sein Bett. Er erinnere sich, daß er sich später zu ihr gelegt habe und sie sich umarmt hätten. „Ich habe angeregt, ob wir was neues ausprobieren wollen“, begründet W., warum er aus seinem Schrank Packriemen geholt und Silvia an Händen und Füßen gefesselt hatte. „Nie zuvor“ habe er so etwas gemacht, beteuerte W. Irgendwann habe er Silvia geschlagen, weil sie ihn gebissen habe. Daraufhin sei das Mädchen weinend zum Bruder ins Nebenzimmer gerannt.

Der 23jährigen Fotolaborantin, die zuvor noch keine intimen Erfahrungen gemacht hatte, waren die psychischen Folgen der Tat noch deutlich anzumerken. Mit kaum vernehmbarer Stimme bestätigte sie, daß sie den Angeklagten sympathisch gefunden und sich auf deshalb auf dessen Schoß gesetzt habe. In das Bett des Kommissars habe sie sich gelegt, weil sie den Flirt vom Balkon fortsetzen wollte. Als der Angeklagte aber verlangte habe, mit ihr zu schlafen, sei die Sympathie „weg“ gewesen. Warum sie nicht weggelaufen sei oder geschrien habe, könne sie nicht erklären. Die Zeugin berichtete, daß sie durch eine Schlinge am Hals Todesängste erlitten habe und bei den sexuellen Handlungen mehrmals bewußtlos geworden sei. In der Urteilsbegründung versuchte der Richter, Silvia S. ihre wiederholt geäußerten Schuldgefühle zu nehmen: „Die Nebenklägerin trifft an der Tat nicht die geringste Schuld“, sagte Föhrig. Es müsse aber „zwischen Schuld und Verursachung“ - womit die eingangs zitierte sexuell aufgeladene Stimmung gemeint war - „unterschieden werden“.

plu