Das Ende eines Renommierprojektes

■ Die vor zwei Jahren gegründete „Akademie der Wissenschaften“ soll nach Willen der SPD/AL-Koalition aufgelöst werden / Als Forschungseinrichtung überflüssig / Nur 20 Tage Anwesenheitspflicht für die 31 Akademiemitglieder auf Lebenszeit

Die Wellen könnten kaum höher schlagen. Die Bedeutung des Wissenschaftsstandorts Berlin sei gefährdet, von einer „Ohrfeige für die deutsche Wissenschaft“ wird gesprochen. CDU-Politiker in Bonn und Berlin, rechte Professoren und selbst die Industrie- und Handelskammer laufen Sturm gegen die von der SPD/AL-Koalition angekündigte Schließung eines ihrer glanzvollsten Renommierprojekte. Die Rede ist von der Nebentätigkeit von 31 Wissenschaftlern in der „Akademie der Wissenschaften zu Berlin“, derzeit beherbergt in der Dahlemer Griegstraße. Dort müssen sie an nur 20 Tagen anzutreffen sein und werden ansonsten in ihrer Arbeit von 62 Beschäftigten unterstützt. Gearbeitet wird in sieben Arbeitsgruppen an den verschiedensten wissenschaftlichen Instituten in Berlin und Westdeutschland.

Gegründet im Sommer 1987, aufgelöst demnächst, ein kurzes Leben fürwahr. Die 60 Millionen Mark, die der Umbau der italienischen Botschaft zur Akademie-Residenz gekostet hätte, sollen nun den Hochschulen zu Gute kommen. Die Begründung: Die Akademie ist überflüssig. Hans Kremendahl, wissenschaftlicher Sprecher der SPD: „Die Schwäche der Akademiegründung war von Anfang an ihr ideologischer Charakter. Die Akademie sollte ein elitäres Gegengewicht gegen die Berliner Hochschulen sein.“ Die Frontstellung und die Argumente von SPD und AL gegen die Akademie sind alt. Die AL hatte bereits 1986 eine Streitschrift verfaßt.

Die Meinung, daß die Akademie überflüssig ist, vertritt auch die Reformfraktion an der TU. Die Akademie habe „der Berliner Wissenschaftslandschaft eher geschadet, indem wichtige Aufgaben aus den bestehenden Einrichtungen ausgelagert wurden und in einer der abgewählten Regierung nahestehenden Institution unter Kontrolle gebracht werden sollten“. Zum Verhängnis wurde der Akademie vor allem die Personalpolitik. Der amtierende Wissenschaftssenator Turner hatte 1987 zwar auch einige SPD-Mitglieder und Wolf Lepenies, den Rektor des Wissenschaftskollegs als liberales Aushängeschild, ansonsten aber überwiegend konservative Akademie-Mitglieder, wie beispielsweise Günther Spur, den Chef des Diplominstitutes von Fraunhofer Gesellschaft und TU, auf Lebenszeit berufen. Die nicht uninteressante Aufgabe der Akademie, durch interdisziplinäres Zusammentragen von Forschungsergebnissen, Technik-Folgenabschätzung, Akzeptanzforschung und Politikberatung zu beschreiben, kam so aus dem Zwielicht nie hervor.

Stattdessen entstanden so paradoxe Umstände wie der, daß Günter Spur als Leiter der Arbeitsgruppe „Automatisierung, Arbeitswelt und künftige Gesellschaft“, in die Lage kam, seine „Fabrik der Zukunft“ selbst kritisch zu beforschen. Was dabei herauskommt, zeigt der erste Sachstandsbericht der Arbeitsgruppe. Darin heißt es beispielsweise: „Eine automatisierte Produktion, so kann als These formuliert werden, ist gekennzeichnet... durch Zuverlässigkeit und durch Humanität, um den Menschen von monotonen und belastenden Arbeiten zu befreien.“ Auch bei den anderen sechs Arbeitsgruppen zu den Themen „Umweltstandards am Beispiel des Strahlenrisikos“, „Erfolgsbedingungen von technischen Innovationen“, „Sonnenenergienutzung“, „Altern und gesellschaftliche Entwicklung“, „Exodus von Wissenschaften aus Berlin“ (im Nazi-Deutschland) und „Wechselwirkung zwischen Geometrie und Physik“ ist die Gefahr einer technokratischen Verkürzung und die Dominanz der Akzeptanzforschung gegeben. Ergebnisse sollten allerdings erst im nächsten Jahr vorgelegt werden.

Die Akademie will trotz der Auflösungsabsicht der neuen Koalition weiterarbeiten. Pressesprecher Vogt: „Wir gehen davon aus, daß das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen wurde.“ In der Tat ist die Frage zu stellen, ob die alte SPD-Position, die Akademie umzustrukturieren und stärker an die Hochschulen anzubinden, nicht der geschicktere Schachzug gewesen wäre.

Thomas Werres