Revolution und Verbrechen

■ Ein Rundgang über die Leipziger Buchmesse

Arno Widmann

Zweihundert Jahre Französische Revolution. Das läßt man sich in der DDR nicht entgehen. Ein vom Leipziger Börsenverein herausgegebenes Heftchen mit Titeln zur Französischen Revolution verzeichnet mehr als 120 selbständige, lieferbare Veröffentlichungen zum Thema. Und das soll noch nicht alles sein.

Wenn man allerdings weiß, daß die Führung der DDR sich und ihren - hier ist das „ihren“ einigermaßen wörtlich zu nehmen - Staat in der Tradition der Französischen Revolution sieht, wundert dies weniger. Hinzu kommt, daß die Geschichtswissenschaft der DDR sich seit Jahrzehnten sehr intensiv der Geschichte der Französischen Revolution angenommen hat und gerade über die Jakobiner, den radikalen Flügel, eine Reihe von Standardwerken bereitgestellt hat.

Am Montag abend konnte man den Nestor der Revolutionsforschung der DDR, Walter Markov, zusammen mit dem durch seine Geschichte der Mainzer Republik bekannt gewordenen Berliner Professor Heinrich Scheel sehr anregend über ihre Arbeiten plaudern hören.

Aber nun zu den Büchern. Für 1989 sind 6.500 Erst- und Nachauflagen angekündigt. 1988 waren es etwas mehr. Meine Hinweise sind extrem zufällig und richten sich nicht nur nach meinem persönlichen Geschmack, sondern auch nach den Merkwürdigkeiten, die dafür sorgen, daß einem das ein oder andere auffällt.

Schon vergangenes Jahr erschien eine dreibändige Sigmund Freud-Ausgabe. Im Verlag Volk und Welt in der Reihe Österreichische Bibliothek unter dem schlichten Titel Essays 1-3. Franz Fühmann hatte die Ausgabe noch angeregt. Ich bin gespannt, ob Freud seine Wirkung tun wird bei unseren sozialistischen Brüdern und Schwestern.

Eine sehr schöne dreibändige Kassette mit Lyrik, Prosa und Briefen der russischen Dichterin Marina Zwetajewa ist ebenfalls bei Volk und Welt erschienen. 872 Seiten für 35 Mark. Beim selben Verlag soll noch im Laufe dieses Jahres eine dreibändige Auswahl aus den Werken Arno Schmidts erscheinen. Die mehr als 2.000 Seiten sollen 48 Mark kosten. Im Aufbau-Verlag locken neue Titel von Günther Rücker, Fritz Rudolf Fries, Christoph Hein, Peter Hacks und Christa Müller. Gespannt wird man sein dürfen auf: Jürgen Lemke, Ganz normal anders - Auskünfte schwuler Männer, 300 Seiten, acht Mark.

Eine der interessantesten Neuerscheinungen des Verlags Volk und Welt, angekündigt für das vierte Quartal: 32 ägyptische Erzähler. Der Band erscheint in einer der spannendsten deutschsprachigen Buchreihen, 'Erkundungen‘ heißt sie, jeder Band von ihr versammelt 350 bis 400 Seiten Kurzgeschichten aus einem Land.

Vom den taz-Lesern hoffentlich nicht unbekannten Ost -Berliner Feuilletonisten Heinz Knobloch bringt der Mitteldeutsche Verlag 250 Seiten „Im Lustgarten“: die Geschichte eines Platzes.

Bei Reclam Leipzig ist eine kleine Sensation angekündigt: eine Textauswahl aus dem Werk Max Webers unter dem Titel „Rationalisierung und entzauberte Welt“. Der Gustav Kiepenheuer-Verlag bietet eine Reihe Bibliotheca Erotica an. Bisher sind erschienen: Guillaume Apollinaire, die Großtaten eines jungen Don Juan, Gustav Schilling, Die Denkwürdigkeiten des Herrn von H. und Erato, eine Folge erotischer Arbeiten des ungarischen Salonmalers Mihaly Zichy.

Im Programm des Verlags Neues Leben reizt mich vor allem die Autobiographie Karl Eduard von Schnitzlers. Wer einmal seine Sendung „Der schwarze Kanal“ gesehen hat, wird ihn nicht vergessen haben. Derselbe Verlag kündigt eine Untersuchung von Jochen Weichold an, die der Frage nachgeht, warum der Linksradikalismus nicht totzukriegen ist. Billiger als für 5,10 Mark kann man das wohl kaum erfahren.

In Sachen 1789 erscheinen zwei Bände mit Texten von Jean Paul Marat: „Die Ketten der Sklaverei“ und „Vom Menschen“. Im Akademieverlag. In der Edition Leipzig ist ein Prachtband „In tyrannos“ von Manfred Kossok, dem Oberhaupt der DDR -Forschung, zum Thema Theorie der Revolution erschienen. Der Untertitel lautet: Revolutionen der Weltgeschichte von den Hussiten bis zur Commune. 456 Seiten mit 285 Schwarz-Weiß und 65 Farbabbildungen. Bei uns ist derselbe Band über den Kohlhammer Verlag zu beziehen. Wer mehr an O-Tönen interessiert ist, der wird Walter Markovs zwei Reclam-Bände „Revolution im Zeugenstand - Frankreich 1789-1799“ goutieren. Derselbe Verlag kündigt vom selben Herausgeber einen Band an: Die Französische Revolution - Bilder und Berichte 1789-1799, 400 Seiten, 222 zeitgenössische ein- und mehrfarbige Illustrationen. Bei uns erscheint der Band im Propyläen-Verlag.

Und wo bleibt das Verbrechen? Im Akademie-Verlag ist eine sehr anregende Anthologie erschienen. „Tatbestand“ heißt sie und sie sammelt „Ansichten zur Kriminalliteratur der DDR 1947-1986“. Eine Fundgrube für Freunde unfreiwilliger Komik. Man erkennt, wie lächerlich sich gar zu umgreifende Konzepte zur Menschheitsveränderung machen, wenn sie darüber vergessen, wie schwierig es ist, auch nur eine Zeile an einer Telexmaschine zu ändern. 15 Mark kostet der von Reinhard Hillich herausgegebene Band. In einer sozialistischen Gesellschaft, so schrieb Hasso Mager 1968, verschwindet das Verbrechen und damit auch der Kriminalroman: „Eines Tages, ob wir's noch erleben oder nicht, fliegt der Krimi in die Schrottkiste, in die wir die Heimatschnulze und Wildweststory, Arzt-, Frauen-, und Sittenromane längst geworfen haben.“ Tja, da hat er sich geirrt.