Benazir Bhuttos Drahtseilakt

■ Die erste Frau an der Spitze eines islamischen Landes versucht einen Ausgleich zwischen Militärs, religiöse Fundamentalisten und den USA / Vier Monate nach ihrem Amtsantritt genießt sie große Sympathie im Land

Simone Lenz

Würden sie es vorziehen, in Deutschland oder in Pakistan zu leben? Sagen sie doch selbst, was hätte ich in ihrer Heimat schon von 6.000 Mark Gehalt - gar nichts. Wie jeder andere müßte ich mich in der Reihe hinten anstellen. Hier aber lebe ich mit einem Gehalt von 3.000 Mark wie Gott in Frankreich. Glauben sie etwa, ich hätte diesen Flug gebucht oder mich um ein Ticket anstellen müssen? Nein, meine Firma hat mir eine VIP-Karte verschafft, das macht das Leben in Pakistan in jeder Hinsicht leichter. Nächstes Mal, wenn sie nach Pakistan kommen, müssen sie in unseren Gästehäusern wohnen, da haben sie allen Komfort. Wirklich, sie hätten sich an uns wenden sollen, wir hätten ihnen einen Fahrer gestellt und in den Straßen wäre jemand vor ihnen hergelaufen“, versichert mir der wohlgenährte Yuppie, mit dem ich auf dem Flug von Lahore nach Karatschi die Sitzbank teile.

Mr.Shakeel Mahmood Bhatti, Jungdirektor der Chishtia -Zuckerraffinerie, studierte Mitte der siebziger Jahre in München Informatik und genießt seine Privilegien aus vollen Zügen. Als er von Fimenwagen, Haus und Fahrer zu schwärmen beginnt, tausche ich mit unserer Zuhörerin in der selben Sitzreihe einen gelangweilten Blick. Selbstverständlich bemühe er sich im Rahmen des möglichen um das Wohl seiner Mitarbeiter, seine Firma biete ohnehin hervorragende Arbeitsbedingungen. Außerdem zahlt Mr.Shakeel Steuern, wenn auch nur zehn Prozent dessen, was er in Deutschland abführen müßte. In Pakistan gibt es dafür auch so gut wie keine Sozilalleistungen, weder Sozialfürsorge noch ein funktionierendes Gesundheitssystem, und natürlich ein völlig unzureichendes Schulsystem, beklagt sich Mr.Shakeel. Lediglich die Grundschule bis zur achten Klasse wird vom Staat finanziert. Wer seinen Kindern in dem 103 Millionen Einwohner zählenden Staat eine chancenreiche Zukunft bieten will, muß tiefer in die Tasche greifen und sie auf eine der teuren englischsprachigen Schulen schicken.

Mr.Shakeel begrüßt alles, was für sein Land gut ist, so auch den im Dezember letzten Jahres erfolgten Regierungswechsel. „Das ist doch hervorragend, in Pakistan kann es nur bergauf gehen! Noch in der ersten Woche nach Benazir Bhuttos Regierungsantritt hatten wir einen Termin mit der jungen Premierministerin. Sie hat unserem Unternehmen zugesichert, daß sich die Konditionen für die Industrie nicht verändern werden.“ Der Zuckermühlendirektor scheint die sozialistische Programmpolitik der Pakistanischen Volkspartei (PPP) nicht mehr zu fürchten. Pakistans Wirtschaftsstrategen setzen heute auf Privatisierung und die beachtliche Konsumfreude der aufstrebenden Mittelschichten. Mit 14,8 Milliarden Dollar ist das Land hoch verschuldet. Doch Benazir Bhutto hatte sich vor ihrer Wahl nicht nur bereit erklärt, den Entwurf des siebten Vierjahresplans der Zia-Regierung zu übernehmen. Auch die Steuerbegünstigungen für Industrie, Grundbesitzer und Unternehmer will sie vorerst nicht antasten. Dabei wären durchgreifende Steuerreformen dringend nötig, um den Strukturproblemen des Staates zu begegnen.

60 Prozent des Haushalts

für das Militär

Streichungen des Verteidigungsetats, der rund 60 Prozent des Haushalts frißt, hat sich Frau Bhutto gleich aus dem Kopf geschlagen. Als Gegenleistung versicherte Armeechef Aslam Beg, das Feld der Politik fortan den Politikern zu überlassen. In der Außenpolitik mischt der für die Waffenlieferungen an die afghanischen Mudschaheddin zuständige militärische Geheimdienst ISI freilich noch kräftig mit. Die fortgesetzte Waffenhilfe an fundamentalistische Kreise der Peshawarer Siebenerallianz unterminiert bislang Benazir Bhuttos Beteuerung, insbesondere die moderaten Kräfte des zukünftigen Afghanistan stützen zu wollen. Wie Benazir Bhutto vor kurzem in einem BBC-Interview äußerte, will sie es dem afghanischen Volk überlassen sich für oder gegen eine „fanatische Regierung“ zu entscheiden. Die im pakistanischen Exil gebildete Übergangsregierung wird von dem moderaten Sabghiatullah Mudschadeddi angeführt. Damit sei doch bewiesen, so Frau Bhutto, daß die Pakistanische Regierung jedenfalls nicht die fundamentalistischen Kräfte im Nachbarstaat fördere.

Als der Mann an meiner Seite wissen will, ob Frauen in Pakistan nicht ein besseres Leben als im Westen führen, gestehe ich ihm zu, daß sie in Pakistan durchaus behüteter leben. Wenn sie mit den kulturellen Regeln jedoch brechen, der vorgezeichneten Erfüllung in Familie und Mutterschaft einen eigenen Lebensentwurf entgegensetzen, droht ihnen schnell die gesellschaftliche Isolation. Dabei denke ich an Iren von Moos, eine mir seit langem bekannte Ethnologin und Afghanistanspezialistin, die am 5.August letzten Jahres in einem Zimmer des Galaxy-Hotels in Peshawar halbnackt erschlagen aufgefunden wurde. Wer außerhalb der westlichen Wohlstandsenklaven landesunübliche Freiräume beansprucht, muß mit Sanktionen rechnen. Sonst hätten die Mythen von all dem, was Frauen zustoßen könnte, wenn sie sich aus dem trauten Kreis ihrer Großfamilie bewegen, keinen wahren Kern. Als sich einige tausend Fuß unter uns das grüne Karomuster des fruchtbaren Punjabs in die braungelbe Wüstenlandschaft des Sinds aufzulösen beginnt, erlöst mich ein unhaltbares Drängen von meinem neugierigen Sitzgenossen. In der viel zu engen Toilettenkabine der PIA Maschine verbringe ich den Rest des zweistündigen Fluges.

Islam als Staatsreligion

Fliegen scheint in Pakistan eine kathartische Wirkung zu haben. Salman Rushdie, der Autor der Satanischen Verse, weiß aus eigener Erfahrung um den gemeinsamen Wortstamm von Flug und Flucht: Millionen von Hindus sind aus diesem „Land der Reinen“ geflogen und nicht minder viele Muslime aus Indien, als sich im Jahre 1947 das heutige Pakistan und Bangladesh vom Mutterland abspalteten. Damals flog auch die Familie Salman Rushdies, der in seinen Romanen immer wieder über dem Geburtstrauma des islamischen Staates brütet. „Wir haben das vollbracht, wovon seit alters alle Menschen träumen, das, worum sie die Vögel beneiden; das heißt. wir sind geflogen“, ist da zum Schicksal der Emigranten zu lesen. „Geflogen“ ist Rushdie jetzt ein zweites Mal, diesmal aus dem Migrationsland seiner Eltern. Per Parlamentsbeschluß hat die pakistanische Regierung dem Dichter die Einreise untersagt. Die neu angesagte Meinungs- und Pressefreiheit scheint ihre Grenzen zu haben. In dem per definitionem islamischen Staat kommt Blasphemie einer Staatsbeleidigung gleich. Rushdie galt schon seit seinem 1983 erschienen Roman Scham und Schande - einer infernalischen Chronik des chronischen Infernos pakistanischer Politik - als unbequemer Gast. Allzu spitzfindige Beobachtungen stellte er bei seinen Familienbesuchen in der Defence Housing Society dem großzügigen Wohnviertel der Militärs in der 8-Millionen -Metropole Karatschi an. Etwa die Sache mit den illegalen Installationen von verborgenenen unterirdischen Wasserpumpen, mit denen die reichsten Bewohner der Defence Wasser aus den Leitungen ihrer Nachbarn stehlen und Rushdies zwingende Schlußfolgerung, daß man an der Tiefe des Rasengrüns den Reichtum der Besitzer ablesen könne.

Ob solcherlei Betrachtungen Rushdies Phantasie oder der Realität entspringen, überlassen die pakistanischen Behörden erst gar nicht dem Urteil der Leser. Seine Bücher sind in dem Land das neben den beiden bekannten Reaktoren den jüngsten Enthüllungen der Hanauer Staatsanwaltschaft zufolge heimlich einen dritten entwickelt haben soll, nur in den Buchhandlungen mit dem „dritten“ Zimmer erhältlich. Die blutige Verteufelung Salman Rushdies hatte in Pakistan ihren Anfang genommen, als Steine gegen das amerikanische Kulturzentrum in Islamabad flogen und sechs Menschen durch Schüsse der Polizei getötet wurden. Dabei hatte Rushdie diesem Land wie auch seiner kleinen Schwester sogar die Liebe zu Coca Cola und teuren Autos verziehen. Nicht aber verziehen hatte er dem pakistanischen Staat das in der Verfassung verankerte Bekenntnis zur Ideologie. Ohne religiösen Eifer wären Indiens Muslime nicht für die „Zwei -Nationen-Theorie“ Muhammad Iqbals mobilisierbar gewesen: Der Dichter und Philosoph hielt die Konsolidierung eines unabhängigen muslimischen Staates für die Bestimmung der Muslime, zumindest in Nord-West-Indien.

Frauen hinter

dichten Vorhängen

Von einer Katharsis war auch die Rede, als Zia-ul-Haq im vergangenen August mitsamt seiner militärichen Führungsclique und hochrangigen amerikanischen Militärberatern vom Himmel fiel. Die Hintergründe dieses Attantats sind bis heute ungeklärt. Mit einer forcierten Islamisierungspolitik, die in erster Linie auf Kosten der pakistanischen Frauen ging, und mit saudi-arabischen Dollars hatte sich der gläubige Muslim elf Jahre lang an die Macht geklammert. Im Dezember 1988 feierte Pakistan die Widergeburt der Demokratie und vereidigte die erste Frau an der Regierungsspitze eines islamischen Staates.

Stolz und selbstbewußt empfangen mich alte Bekannte, Naweed und ihre Mutter, am Flughafen in Karatschi. „Ja, besonders wir Frauen sind glücklich über das Wahlergebnis, außerdem hatten wir die Nase voll von den Militärs.“

Das begeisterte Strahlen, auf das man immer wieder trifft, läßt in Vergessenheit geraten, was mir die noch immer unverheiratete dreißigjährige Freundin bei meinem letzten Besuch über die sonderbaren Widersprüche zwischen dem privaten Lebensstil mancher PPP-Politiker und ihren politischen Lippenbekenntnissen zutrug. Auf dem Dach ihres Hauses, wo Frauen auf sicherem Terrain ihre Abendspaziergänge abzirkulieren, über Sterne und den Lebenswandel ihrer Nachbarn spekulieren, hatte sie mir damals Geschichten über den Verkehrs- und Informationsminister der neuen PPP-Regierung eröffnet, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite wohnt. Unablässig rede der Mann von Emanzipation und der Integration der Frauen ins Berufsleben. Als er jedoch einmal seine Familie aus der Provinz in die Stadt kommen ließ, hüllte er sein Haus eine ganze Woche lang in das Dunkel der Pardahvorkehrungen, die Frauen vor fremden Blicken und Einflüssen schützen sollen. Während der ganzen Zeit blieben die Vorhänge verschlossen. Sogar entlang des kurzen Weges von der Straße ins Haus ließ er Stellwände aufstellen.

Naweed hat sich schon fast damit abgefunden, daß die Heiratschancen für sie mit zunehmendem Alter immer schlechter werden. Noch immer in der Obhut ihrer Familie , macht sie sich als rechte Hand ihres pensionierten Vaters nützlich. Hinter der modernen Pardahvorkehrung einer getönten Windschutzscheibe und Sonnenbrille kutschiert sie ihn durch den, verglichen mit anderen Städten, durchaus kontrollierten Verkehr der breiten Autostraßen von Karatschi. Soweit es ihr der Tagesablauf erlaubt, versucht die gläubige Tochter ihre fünf Gebete und die Fastenzeit einzuhalten. Beim Shopping auf der Tariqroad bedenkt sie die Bettler und bringt den Bewohnern des unweit von ihrem Haus gelegenen Armenviertels ab und zu ausrangierte Kleidung und zu Ende des Fastenmonats Hammelfleisch. Sie würde es vorziehen, wie ihre Schwestern im Schutze des Hauses zu leben, wären da nicht die tausend Erledigungen und Besorgungen, für die sie nun einmal die Verantwortung übernommen hat. Und damit sinken ihre Heiratschancen auf dem engen pakistanischen Markt einmal mehr.

Welcher pakistanische Mann will schon eine Frau mit einem vom Licht der Öffentlichkeit und des Straßenlebens gegärbten Teint ehelichen? Englische Blässe steht noch immer hoch im Kurs. Manche Attitüde der hinduistischen Kastengesellschaft hat die muslimische Kultur Pakistans noch nicht aus ihrem Gedächtnis gestrichen.

Stützpunkt für

afghanische Rebellen

Naweed hat ihre Skepsis gegenüber der PPP-Partei offenbar fallen gelassen. Zu groß ist die Genugtuung, die Benazir Bhutto den unter der Zia-Aera diskriminierten Frauen verschafft. Orthodoxe Rechtsgelehrte hatten nicht nur das 1961 zugestandene Familien- und Scheidungsrecht, sondern auch das Zeugenaussagerecht auf entwürdigende Weise beschnitten. Das Heiratsalter für Mädchen wurde wieder von 16 auf 13 Jahre gesenkt. Vorerst kann es sich Benazir Bhutto nicht leisten, das islamische Scharia-Recht abzuschaffen. Ihre erste Regierungshandlung, die Freilassung aller unter diesem Recht verurteilten Frauen, macht indes deutlich, wie sie es damit hält. Die durchgreifenden Amnestiemaßnahmen für sämtliche politischen Gefangenen und die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haftstrafen wurden jedoch mit geteilter Sympathie aufgenommen. „Fragen Sie die Freigekommenen doch selbst, die haben alle Dreck am Stecken“, war es zu hören. „Man kann Verbrecher doch nicht einfach auf freien Fuß setzen.“ Der Buchladenbesitzer in der Nähe der linken Tageszeitung 'The Muslim‘ erinnert sich noch gut daran, daß die Bhuttos allzuschnell übers Ziel hinausschießen. „Mein ganzes Vermögen hatte ich in eine gutgehende Druckerei gesteckt. Wir waren in der Lage, Aufträge von heute auf morgen zu erledigen, bis Zulfikar Ali Bhuttos Arbeits- und Gewerkschaftgesetze eine konkurrenzfähige Produktion unmöglich gemacht haben. Der Mann hat mich ruiniert.“

Dennoch, die Militärs haben die großen Sympathien, die sie in Pakistan genießen, verspielt. Die mörderische Explosion des Waffendepots in Rawalpindi, bei der mehr als 1.000 Zivilisten ums Leben kamen, hatte Zias Afghanistanpolitik endgültig in Mißkredit gebracht. Die Katastrophe ereignete sich im April letzten Jahres, als noch vor Inkrafttreten der Genfer Verträge in aller Eile möglichst viele Waffen über die Grenze nach Afghanistan geschoben werden mußten. Mehrere vollbeladene Lastwagen standen auf engstem Raum zum Transport bereit, als aus bis heute ungeklärten Gründen der ganze Mudschaheddin-Nachschub in die Luft flog. Zuständig für die Waffenlieferungen ist bis heute der militärische Geheimdienst ISI. Die Aufklärungsbemühungen der pakistanischen Regierung gingen entsprechend schleppend voran. Zunehmend geriet Zia unter Beschuß seines 1985 eingesetzten zivilen Premierministers Junejo. Der strenggläubige General zog die Notbremse. Er enthob Junejo , wegen angeblicher Versäumnisse bei der Islamisierungspolitik, seines Amtes, löste die Parlamente auf und kündigte Neuwahlen an.

„Benazir ist die Richtige

für unser Land“

Schon bei der triumphalen Rückkehr der Bhutto-Tochter aus dem britischen Exil im Frühjahr 1986, die Zia einmal mehr bewegte, die ambitionierte Rivalin unter Hausarrest zu stellen, schienen die Monate des Generals gezählt. Die Präsenz der sowjetischen Besatzer im benachbarten Afghanistan ließ indes noch keinen Regierungswechsel zu. Erst als sich im April vegangenene Jahres eine Lösung des Afghanistankonflikts abzeichnete, schien seine Rückendeckung für den heiligen Krieg nicht länger erforderlich. Erneut griff der Gläubige mit unheiligen Mitteln nach der Macht. Gezählt wurden zunächst die Monate bis zu Benazirs Entbindung, um für eben jenen Termin im November 1988 die Wahlen anzusetzen. Durch die Exekution seines Amtsvorgängers Zulfikar Ali Bhutto zementierte Zia 1979 seine Macht. Warum sollte er sie ein Jahrzehnt später nicht mit Hilfe der Geburt eines Bhutto-Enkels ausbauen können? In Pakistan wird Geschichte noch aus Fleisch und Blut gemacht.

Benazir Bhutto, die 1979 gelobt hatte, den Tod ihres Vaters zu rächen unterzog sich im Oktober einer Frühgeburt durch Kaiserschnitt. Allein die Tatsache, daß man über solche Angelegenheiten nicht in der Öffentlichkeit spricht, schützt Frau Bhutto und ihre Ärzte vor der naheliegenden Vermutung, daß diesem Kaiserschnitt etwas Freiwilliges anhaftete. Seit Benazir Bhutto nun auch noch Mutter ist, beherrscht sie das ganze für Frauen vorgesehene Rollenrepertoire.

„Natürlich ist Benazir die Richtige für unser Land“, überzeugt mich ein Taxifahrer. Ebenso wie die Tochter aus dem Haus eines Arztes eine gute Ärztin wird, bringt Benazir alle Anlagen für eine gute Politikerin mit. Benazirs ungebrochene Loyalität zum Vater entschärft zudem das revolutionäre Potential dieser ersten weiblichen Regierungschefin. Nicht umsonst bedeckt Benazir ihr Haar mit der Dupatta, dieser Schleier ist übrigens das einzige Accessoir, das die pakistanischen Unisex-Pumphosenkleidung geschlechtsspezifisch akzentuiert. Nicht umsonst willigte sie noch rechtzeitig vor dem ursprünglich für 1990 angesetzten Wahltermin in eine arrangierte Ehe ein. Nicht umsonst bewegt sich die für pakistanische Verhältnisse ungeheuer exponiert lebende mit 35 Jahren jüngste Premierministerin des Landes unter dem Parteivorsitz ihrer Mutter Nusrat Begum. Die Dreieinigkeit der Bhutto-Familie wurde von den Wählern, wenn auch nicht mit absoluter Merheit honoriert.

Die Bhuttodamen ließen es sich denn auch nicht nehmen, Anfang Januar den 61.Geburtstag Zulfikar Ali Bhuttos an seinem Grabmal in der Nähe von Larnaka mit einem 1.000 Kilo schweren Kuchen zu zelebrieren. Seit Tagen waren die Anhänger zu Tausenden in der Heimatstadt des Bhutto-Clans zusammengeströmt. Als die junge Premierministerin per Helikopter einflog, gab es kein Halten mehr. Die taumelnde Menge sprengte jede Sicherheitsbarriere, um die verehrte Tochter mit Bittschriften und Geschenken zu überschütten. Die mitreisenden Sicherheitskräfte sind in der Regel vollends überfordert, die auf den Menschenwogen angereichten Geschenke auf gefährlichen Inhalt zu überprüfen. Im ganzen Land wurden am 5.Januar Feier- und Gedenkstunden abgehalten, um sich des neuen politischen Klimas und der alten Bhutto -Identität zu versichern. „Food, Clothing und Shelter“ - mit diesem Versprechen hatte der oft mit Mussolini verglichene Volksheld die Massen gewonnen und bis über seinen Tod hinaus das Charisma ihres Führers behalten. „Ich werde Euch dienen, selbst wenn es mich das Leben kosten sollte.“ Diese martialischen Bhutto-Worte erklingen zum Auftakt einer einstündigen TV-Hommage.

Elf Jahre lang war die Opposition vom staatlich kontrollierten Fernsehen ausgeschlossen. Die im Zuge der neuen Presse- und Medienfreiheit erstmals wieder auf dem Bildschirm erscheinenden Dokumentaraufnahmen, zeigen, daß die Bhutto-Legende nicht allein auf seinem Märtyrertod beruht. Wenn es der Duktus seiner Reden erforderte, brachte sein ausgelassenes Temperament zuweilen die vor ihm aufgebauten Mikrophone ins Wanken. Er wird als Mann des Volkes präsentiert, der sich im Straßenrestaurant ebenso ungezwungen unterhielt wie mit König Faisal von Saudi -Arabien. Nach der Ölkrise von 1973 erkannte er schnell die wachsende Bedeutung des Nahen Ostens und knüpfte die bis heute überdauernden Beziehungen zu den islamischen Geldquellen. Seine antiimperialistische Position trug ihm den Zuspruch der jüngeren Generation und der Studenten ein, die sich mehrheitlich hinter die pakistanische Volkspartei stellten. Die unter seiner Regierung verabschiedete Verfassung von 1973 gilt als die demokratischste der vierzigjährigen Staatsgeschichte.

Atommacht seit

Zulfikar Bhutto

Heute verfügt seine Tochter jedoch nicht über die Dreiviertelmehrheit im Senat, die nötig wäre, um das auf Zias Interessen zugeschnittene Präsidialsystem wieder rückgänig zu machen. Noch ist Präsident Ishak Khan der starke Mann im Lande, der Benazir Bhutto gemäß Verfassung jederzeit entlassen kann. Die Bhutto-Verfassung von 1973 garantierte den Islam als Staatsreligion, gleichzeitig jedoch die Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen. Mit der Idee eines islamischen Wohlfahrtsstaates hatte Bhutto, der von seinen Gegnern Diktator genannt wurde, auch seine außenpolitischen Ziele abgesteckt. Für ihn war nicht einsichtig, weshalb die muslimische Welt vom Atomwaffenpotential ausgeschlossen bleiben sollte, während die hinduistische christliche, jüdische und kommunistische Zivilisation davon profitierte.

Bhuttos ehrgeiziges Atomwaffenprogramm zwang den damals scheidenden US-Botschafter in Islamabad, Klartext zu reden: Wenn Bhutto vom Projekt der islamischen Bombe nicht Abstand nehmen würde, sei er für die USA nicht länger tragbar. Anschließend zog sich Frankreich auf Druck von Washington aus den mit Pakistan bestehenden Abmachungen zurück. Seit Pakistan 1986 begann, waffenfähiges Uranium anzureichern, stellt sich die Atomwaffenfrage in erster Linie als semantisches Problem. Gemäß einer US-amerikanischen Verfassungsänderung von 1985 ist der amerikanische Präsident alljährlich von Neuem zu der Versicherung gezwungen, daß Pakistan nicht in der Lage sei, Nuklearwaffen zu produzieren. Erst dann kann die für einen Zeitraum von sechs Jahren gebilligte 4,2 Milliarden US-Dollar-Hilfe weiterfließen. Solange der Afghanistankonflikt lodert, wird Washington die Dinge nicht so genau nehmen, schließlich war es sogar möglich, daß Pakistan in aller Stille einen dritten Reaktor für militärische Zwecke betreiben konnte. Bis vor einer Woche wußten von diesem Projekt offenbar nur die deutschen Zulieferfimen.

Ohne die Billigung Washingtons wäre Benazir heute nicht an der Regierung, wird in Pakistan vermutet. Am Rande des Tennobegräbnisses sicherte Bush bei seinem diplomatischen Schnelldurchlauf der pakistanischen Regierungschefin denn auch seine volle Unterstützung für die junge Demokratie zu.

Der amerikanischen Unterstützung über die pakistanischen Kanäle können sich auch die afghanischen Mudschaheddin sicher sein. Den Herren in Washington kommt Benazir Bhuttos Regierung, quasi als Pendant zu den im Afghanistankonflikt bevorzugten fundamentalistischen Kreisen, nach dem Abzug der sowjetischen Truppen gerade recht. Daß sich die Vereinigten Staaten mit ihrer Afghanistanpolitik nicht sehr wohl fühlen, verdeutlichen die jüngsten Bestrebungen, die 200 bis 500 gelieferten Stinger-Raketen gegen Wiederaufbauhilfe zurückzutauschen, weil man befürchtet, die höchst effektiven Sprengkörper könnten in die Hände von Waffenhändlern oder Terroristen fallen. Die Ausschreitungen gegen das amerikanische Kulturzentrum im Blue-Area unterhalb des monströsen Präsidialpalasts in Islamabad mögen zu der neuen Wachsamkeit beigetragen habe. An der provokativen Anti -Rushdie-Kundgebung waren nicht nur berüchtigte pakistanische Fundamentalisten wie Fazlur Rehman und der verprellte PPP-Politiker Niazi beteiligt. Am Rande der Demonstration gegen „üble westliche Einflüsse“ waren auch Busse aus der Flüchtlingshochburg Peshawar zu sehen. Der wütende Protest gegen einen Autor, der es wagte, „seine ursprünglich männliche Fabel von der politischen Kultur Pakistans durch die Prismen weiblicher Realität zu betrachten“, richtet sich auch gegen die Kränkung, die der Wahlsieg Benazirs der männlichen Hälfte der pakistanischen Gesellschaft zufügte.

Computerspiele

in Holzverschlägen

Im Food-Market von Peshawar kann man sich Benazir Bhuttos Abbild beim nächtlichen Einkauf unter den verschiedenen Versionen indopakistanischer Pin-ups aussuchen. Die in London ausgebildete weltgewandte Staatsfrau mit und ohne Schleier, mit und ohne Sonnenbrille, mit und ohne Konterfei ihres Vaters. Benazir wird hier allerorten mit einem prononcierten E ausgesprochen, als wollte man die Bedeutung des italienische „bene“ in den Namen miteinfließen lassen. Im Schein der Öllampe lenken die Verkäufer meine Aufmerksamkeit aber noch auf ein anderes Idol halbwestlicher Provenienz. Barbara heißt die junge Schauspielerin, die allabendlich im knallroten Peugot durch die Straßen San Franciscos rauscht, Denver-Partylöwen im Vorbeigehen das Sektglas aus der Hand schlägt und hinterher den pakistanischen TV-Konsumenten erzählt, welche Seifenmarke das alles möglich macht. Der kleine Food-Market in der Nähe des Greens Hotel ist ganz auf die Bedürfnisse der ausländischen Journalisten und Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe abgestimmt. Während der letzten neun Kriegsjahre waren ihre Jeeps und Toyotas aus dem staubig spröden Straßenbild Peshawars nicht mehr wegzudenken. Gegenüber vom Postoffice haben sich die Schreibwarenläden bereits mit Fotokopiergeräten ausgestattet.

In den noch immer Mit PPP-Emblemen geschmückten Gassen des Bazars erinnern Computerspiele in primitivsten Holzverschlägen daran, daß auch der heilige Krieg mit technischen Mitteln gefochten wird. Längst haben Helikopter, Panzer und Waffengattungen aller Art die traditionellen Motive der Teppichknüpfer abgelöst. Die materielle Kultur der Flüchtlinge wird vom Krieg bestimmt. Die in Peshawar ermordete Schweizerin Iren von Moos schreibt in ihrem letzten Forschungsantrag davon, daß eben jene Modernisierungstendenzen der Kabuler Zentralregierung, die anfangs den militärischen Widerstand der Mudschaheddin erst provozierten, von diesem Widerstand später verstärkt wurden. Dabei widmete sich die Ethnologin auch der unterschiedlichen Betroffenheit von Frauen und Männern.

Würstchenidylle neben

Flüchtlingslager

Tatsächlich wurden viele Männer durch den Krieg mobilisiert, sei es innerhalb Afghanistans oder zwischen Afghanistan und Pakistan, um wenigstens besuchsweise bei ihren Frauen und Familien in den Lagern zu weilen. Gleichzeitig verloren die Frauen zunehmend ihre Bewegungsfreiheit. Die psychischen und physischen Kosten des Krieges sind bei den Frauen nicht minder hoch als bei den Männern. Der Leiter des psychiatrischen Zentrums für afghanische Flüchtlinge, Herr Dadfar, bestätigt dies. Frauen, die sich in ihren vertrauten Heimatdörfern frei bewegen konnten, sind in der fremden Umgebung hinter die vier Wände ihrer provisorischen Behausungen verbannt.

Als ich in Begleitung des eigens abgestellten Flüchtlingsbeauftragten ein Vorzeigelager in der Nähe von Peshawar besichtige, werden mir zunächst die akribischen Verwaltungsarbeiten der pakistanischen Behörden vorgeführt. An den Eintragungen auf übersichtlichen Wandtafeln ist abzulesen, daß in den letzten drei Monaten die Ölzuteilungen nicht erfolgt sind. Die Spendenbereitschaft der Geberländer habe seit dem Genfer Abkommen nachgelassen, erklärt man mir. Dabei stiegen die Füchtlingszahlen gerade in den letzten Monaten vor dem Hintergrund der eskalierenden Kampfhandlungen zwischen afghanischen Regierungstruppen und den Morgenluft witternden Mudschaheddin. Schließlich gewährt man mir noch den Journalistinnen vorbehaltenen obligatorischen Zugang von Frau zu Frau. An der Türschwelle eines Lehmhauses empfängt mich ein Junge zur eingespielten Führung durch die 40 Quadratmeter Lebenswelt afghanischer Flüchtlingsfrauen. Kleinvieh, Ziegendung, dazwischen Babys, drei Frauen und der Junge, der den Kontakt zur Außenwelt aufrecht erhält. Man lacht mich an, bedeutet mir, mich zu setzen und zeigt mir die feuchten Stellen an Wänden und unter dem Teppich des Zweizimmerdomizils. Mein Eindringen bezahle ich aufgefordert , aber gerne mit meinem Lippenstift. Das begehrte Objekt erst einmal in den Händen, entbrennt ein Streit zwischen den drei Damen des Hauses. Zeit, mich zu verabschieden.

Der Flüchtlingsbeauftragte, der eigentlich nur für die Führung sogenannter VIPs zuständig ist, bei mir jedoch eine Ausnahme macht, weil ich eine Empfehlung von Ministerpräsident Sherpao der Nord-West-Grenzprovinz habe, für den ich wiederum eine Empfehlung vom Pressesekretär Benazir Bhuttos mitbrachte, will mich noch einem deutschen Landsmann vorstellen. Nicht viel weiter als einen Steinwurf vom Flüchtlingslager entfernt, das mit einem Einkaufzentrum, Schulen und Ausbildungsstätten fast urbane Strukturen aufweist, liegt das Anwesen des deutschen Würstchenfabrikanten. Der alte Herr hält in der Fremde auf deutsches Brauchtum. Deutsches Backwerk, Tee und die Zimmerdekoration. Die Louis-XVI- Stilmöbel aus der eigenen, inzwischen eingegangenen Möbelfabrikation schaffen mit Blick auf das karge Lagerdasein ein eigenwillig groteskes Ambiente. Das deutsche Unternehmen beliefert die Lufthansa, deutsche Firmenniederlassungen und die deutsche Botschaft, wenn es etwas zu feiern gibt. Wie eine gutdeutsche Würstchenidylle in der Fremde doch befremden kann!