Der ganz normale Wahnsinn in der Provinz

In der Wetterau-Gemeinde Wölfersheim erhielt die NPD bei den hessischen Kommunalwahlen 17,5 Prozent / Der „braunste“ Ort der Republik liegt in der hessischen Runkelrübenkammer / NPD-Sachse im Kampf gegen den „fröhlichen Hugo“ von der SPD  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wölfersheim (taz) - Hugo Fröhlich ist „traurig und beschmämt“ zugleich über das Kommunalwahlergebnis in seiner Gemeinde. Fröhlich ist Sozialdemokrat und Noch-Bürgermeister der knapp 8.000-Seelen-Gemeinde Wölfersheim im Wetteraukreis. Der „fröhliche Hugo“, wie er in Wölfersheim spöttisch genannt wird, ist seit dem Sonntag Bürgermeister der „braunsten“ Gemeinde der ganzen Republik: Genau 923 Menschen (17,5 Prozent) votierten für die alten und neuen Rechtsradikalen der NPD und verhalfen ihr zu sechs Sitzen in der Gemeindevertretung - und der SPD zum Sturz vom Thron der absoluten Mehrheit. Schwer gerupft wurde auch die CDU, die seit Sonntag nur noch viertstärkste Kraft im Gemeindeparlament ist. Zwischen SPD (34,5 Prozent) und NPD schob sich mit acht Sitzen eine Freie Wählergemeinschaft (FWG), die den Kampf gegen diverse für die Region geplante Müllprojekte der Landesregierung auf ihre Fahnen geschrieben hat. Die Grünen sind nicht mehr im Wölfersheimer Kommunalparlament vertreten.

Wölfersheim liegt an der Bundesstraße von Friedberg nach Schotten - vor den Toren Frankfurts. Wer nicht unbedingt dorthin will, der läßt den eher tristen Ort am besten links von der Bundesstraße liegen. Touristisch hat das „Kaff“ in der hessischen Runkelrübenkammer, abgesehen von einem Wehrturm und einem Hausgemälde (Wolf heult Mond an), nichts zu bieten. Die Hauptstraße mit kleinen Geschäften, der Eisdiele, dem Rathaus und einer Kneipe konkurriert in ihrer grenzenlosen Langeweile mit Tausenden von anderen „Hauptstraßen“ in anderen Dörfern und Kleinstädten. Auch die wenigen Fachwerkhäuser und Butzenscheiben im alten Ortskern können diesen ersten Eindruck kaum korrigieren. Das Kleingewerbe und der unvermeidliche Supermarkt haben sich an den Gemarkungsgrenzen angesiedelt.

Für das Wahldesaster macht Bürgermeister Fröhlich vor allem die Medien verantwortlich. Die hätten „in geradezu unverantwortlicher Weise“ in Wölfersheim die NPD „hochgeputscht“. Dabei seien die „Nationalen Demokraten“ in den vergangenen vier Jahren - die NPD sitzt seit 1985 (11 Prozent) mit drei Abgeordneten im Gemeindeparlament kommunalpolitisch kaum aufgefallen. „Der Sachs hat doch dem Fröhlich nur die Tür aufgerissen und dabei einen Diener gemacht. Der betet nämlich Autoritäten an.“ So jedenfalls beurteilt die Grüne Helga Rieß die „politische Arbeit“ des Wölfersheimer NPD-Vorsitzenden Volker Sachs, der als Elektriker bei der PREAG arbeitet. Der „Wölfersheimer Bub“ Sachs - so Helga Rieß weiter - genieße dennoch in der Bevölkerung Sympathien, „weil der aus einfachen Verhältnissen stammt und im Ort überall bekannt ist“.

Der Antagonismus zwischen dem unterwürfigen, pflichtbewußten Sachs und dem mit absoluter Mehrheit regierenden arroganten, pflichtbewußten Bürgermeister Fröhlich bestimmt denn auch seit Jahr und Tag das politsche Leben in der Gemeinde. Daß der NPD-Vorsitzende Sachs in den 60er Jahren noch der SPD angehörte, ist nur ein weiteres delikates Moment in der Historie Wölfersheims.

Sachs wohnt im PREAG-Viertel jenseits der Bahngeleise, das nicht erst seit dem Engagement der Familie bei der NPD Bruder Hans und Schwägerin Ursula sitzen seit Sonntag auch im Gemeindeparlament - den Namen „Sachsenhausen“ trägt. Alte Wölfersheimer berichten, daß dort - bevor die PREAG kam die Apfelbäume für den „Ebbelwoi“ gestanden hätten und der Name an das Frankfurter „Ebbelwoi„-Viertel Sachsenhausen erinnern sollte. Von „Sachsenhausen“ aus mischt Sachs zusammen mit seinem Spezi Heinrich Appel, der als „Ausländerhasser und Scharfmacher“ gilt, die Gemeinde Wölfersheim klammheimlich auf: Die kontinuierliche „stille“ Propagandaarbeit gegen den von auswärts in den Ort geholten SPD-Bürgermeister zahlte sich schon 1985 aus - mehr als alle ausländerfeindlichen „Argumente“, die in abendlicher Fleißarbeit in Form von Flugblättern oder „persönlichen Gesprächen“ unters Volk gebracht wurden. Die NPD konnte ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln (von fünf auf elf Prozent) und war ab dato eine ernstzunehmende Größe in der politischen Landschaft der Gemeinde.

Als Fröhlich im November '85 zur Wiederwahl anstand, präsentierte die NPD den Wölfersheimer Schützenkönig Bommersheim als Gegenkandidaten - ein SPD-Mitglied. Der Ort stand Kopf, denn auch die CDU spielte unter NPD-Regie mit. Schützenkönig Bommersheim flog noch vor der Bürgermeisterwahl aus der SPD. Bei der Wahl in der überfüllten Wetterauhalle behielt Fröhlich dann knapp die Oberhand gegen Bommersheim, da alle 16 SPD-Abgeordneten für ihren Bürgermeister votierten.

Der Coup mit der Bürgermeisterwahl ließ den NPD -Vorsitzenden Sachs zum „Schlitzohr von Wölfersheim“ werden. Die NPD hatte von nun an die Lufthoheit über den Stammtischen. Sachs und seine Leute machten in den Ortsvereinen Stimmung gegen SPD und CDU. Dabei vertrat Sachs das Parteiprogramm der NPD durchaus glaubwürdig: „Arbeit, Ordnung, Sicherheit“. Der 'NPD-Pressedienst‘ bombadierte das örtliche Blättchen mit Artikeln und Anzeigen. Keine andere Partei verteilte im Wahlkampf 88/89 so fleißig Flugblätter und klebte so eifrig Plakate wie die NPD. Gezielt wurden die realen und irrationalen Ängste der WölfersheimerInnen von den Rechtsradikalen aufgegriffen: die Angst vor Arbeitslosigkeit, die Angst vor „den Fremden“, die Angst vor Terrorismus. Ganze Plakatserien beeindruckten die WölfersheimerInnen: „Stoppt die Rote Armee Fraktion.“

Dazu spielte Sachs den „Anwalt des kleinen Mannes“. Nach der Schicht bei der PREAG schnell nach Hause, Hände waschen und dann ab in die Gemeindevertretung. Das macht Eindruck bei einer Bevölkerung, der Pflichtbewußtsein, Sauberkeit und Ordnung keine Sekundärtugenden sind.

Zwar gibt es in Wölfersheim gar kein „Ausländerproblem“, doch forderte die NPD auf ihren Plakaten „Stoppt die Asylanten - Stoppt die Ausländer“. Ganze 60 ausländische Familien leben in der Wetteraugemeinde, darunter Arztfamilien und die Betreiber des einzigen ausländischen Lokals in der Gemeinde, des Eiscafes „Cancian“. NPD-Chef Sachs führt den Wahlsieg seiner Partei dennoch auf die „klare Haltung der NPD in der Ausländerfrage“ zurück. Sachs forderte CDU und FWG zur „Kooperation“ auf, damit der „fröhliche Hugo“ 1991 „in die Wüste“ geschickt werden könne. Die NPD will einen geeigneten Kandidaten aus den Reihen der CDU oder der FWG mitwählen. Sachs selbst steht für dieses Amt nicht zur Verfügung. Nach dem Willen der Bundes-NPD soll der Mann führende Aufgaben in der Partei übernehmen. Neben der „Ausländerfrage“ habe die EG-Politik die „übelst gebeutelten Bauern“ der Wetterau in Scharen in die Arme der NPD getrieben - und im Kreis in die Arme der „Republikaner“ (sieben Prozent).

Die „Glaubwürdigkeitskrise“ der großen Parteien

Der in Panik geratene SPD-Bürgermeister Fröhlich führt den Sieg der NPD und der FWG dagegen „zu 99 Prozent“ auf die Müllpolitik zurück. Zwar haben sich in Wölfersheim alle Parteien gegen eine von der Landesregierung geplante Kreismülldeponie ausgesprochen, doch CDU und SPD hätten bei der Argumentation schlechte Karten gehabt. Da die SPD auf Kreisebene die Deponie will und die CDU/FDP-Landesregierung an ihren Planungen festhält, seien die beiden großen Parteien vor Ort in eine „Glaubwürdigkeitskrise“ getrieben worden.

Dazu seien die Probleme mit dem größten Arbeitgeber der Gemeinde, der PREAG, gekommen. In einigen Jahren sollen die Braunkohlegruben in der Umgebung von Wölfersheim erschöpft sein - und dann stehen 600 Arbeitsplätze zur Disposition. Wie sich die PREAG-Kumpels, als „Feierabendbauern“ von der Agrarpolitik in Bonn und Brüssel um Haus und Hof gebracht, dann verhalten, bleibt abzuwarten.