„Auf Dauer halte ich das für unmenschlich“

SPD-MdB Peter Conradi aus Stuttgart spricht sich für die Zusammenlegung „der wegen terroristischer Straftaten verurteilten Gefangenen in größere Gruppen“ aus  ■ I N T E R V I E W

taz: Fast sechs Wochen herrschte in Sachen Hungerstreik von seiten der Politiker Funkstille. Ist Ihnen der Geduldsfaden gerissen?

Peter Conradi:Auslöser war der Brief des Vaters eines Strafgefangenen, der mir vorschlug, einen Aufruf zu unterschreiben. Das habe ich nicht getan, weil ich den dort verwendeten Begriff „politische Gefangene“ für falsch halte. Aber ich habe begriffen, daß in der Sache jetzt etwas geschehen muß.

Dieser Hungerstreik ist der zehnte innerhalb von 15 Jahren, in dem die Forderung nach Zusammenlegung erhoben wird. Was ist so gefährlich an dieser Forderung, daß ihre Erfüllung auch von SPD-Regierungen immer wieder verweigert wurde?

Wenn man der Meinung ist, die RAF-Strafgefangenen seien besonders gefährlich, dann kann man sie nicht mit anderen im Normalvollzug zusammenlegen. Das wäre für die anderen Strafgefangenen eine erhebliche Verschlechterung ihrer Haftbedingungen. Wenn der Normalvollzug - die an sich vernünftigste Lösung - also nicht geht, dann muß man den RAF -Strafgefangenen wenigstens die Möglichkeit geben, in Gruppen miteinander ins Gespräch zu kommen. Sie weiter isoliert zu halten, ihre Kontakte mit anderen Menschen auf ein Minimum zu beschränken, halte ich auf Dauer für unmenschlich. Das mag für eine gewisse Zeit in einer bestimmten Situation notwendig sein. Als eine dauernde Maßnahme ist es mit dem Resozialisierungsziel des Strafvollzugs nicht vereinbar.

Es gibt die Isolation in mehr oder weniger scharfer Form seit 18 Jahren. Was hat sich verändert, warum können Sie sagen, jetzt ist das nicht mehr nötig?

Die Gefahreneinschätzung kann ich nicht vornehmen. Dazu fehlen mir die Informationen, die Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft haben. Man muß aber sehr individuell reagieren - die nicht mehr Haftfähigen natürlich entlassen und die anderen in Gruppen zusammenlegen, so daß sie miteinander reden können. Allerdings fürchte ich, daß die Gefangenen sich über die Wirkung ihres Hungerstreiks Illusionen hingeben. Die Öffentlichkeit nimmt das kaum mehr zur Kenntnis, das Mittel hat sich verbraucht.

Es gibt einen deutlichen Bruch zu früheren Hungerstreiks, nicht nur in der „Form“, sondern auch bezüglich der Erklärung zum Hungerstreik von Helmut Pohl, die je nach Standort „gut- oder böswillig“ interpretiert wird...

...Ich neige eher zu der gutwilligen Interpretation und habe deshalb für die Zusammenlegung in größere Gruppen votiert. Das erscheint mir eine notwendige Voraussetzung, um das Gespräch auch zwischen den Strafgefangenen und Außenstehenden zu eröffnen. Da könnte eine Gesprächsebene eröffnet werden, die den Strafgefangenen eine Beurteilung der politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Situation und schließlich die Rückkehr in die Gesellschaft ermöglicht.

Das heißt für Sie wäre die Zusammenlegung nur ein erster Schritt?

Ja, aber man muß realistisch sehen, daß auch das Gegenteil eintreten kann. Die Zusammenlegung kann auch zu einer verstärkten Selbstisolation führen. Was als Reaktion auf das Gesprächsangebot der Brüder von Braunmühl kam, war ja nicht ermutigend. Dennoch, das Risiko muß man eingehen. Es kann auch dazu kommen, daß einzelne Strafgefangene sagen, lieber möchten wir zurück in die Isolation als in der Gruppe bleiben. Das kann ja auch zu einer Situation des Eingeschlossenseins führen, wo man sich gegenseitig zur Hölle wird. Die Gefangenen müssen also auch das Recht haben, zu sagen: Nein, da wollen wir wieder raus.

Haben Sie versucht, mit Ihren Parteifreunden, auch denen, die in den Bundesländern verantwortlich sind, über den Hungerstreik zu diskutieren und etwas in Gang zu setzen?

Ich selbst nicht. Aber es haben Gespräche des Arbeitskreises Rechtswesen der Fraktion mit den Justizministern der SPD-regierten Länder stattgefunden. Die Bundestagsfraktion ist ja nicht unmittelbar zuständig, versucht aber doch, sich mit den zuständigen SPD-Ministern abzusprechen, auch im Zusammenhang mit der von den Grünen angestoßenen aktuellen Stunde am nächsten Freitag.

Gibt es eine direkte Verbindung zwischen den Wahlen in Hessen und der Tatsache, daß nun nach sechs Wochen Bewegung in die Frage der Zusammenlegung kommt?

Nein. Diese Art von Wahlopportunismus ist mir fremd. Es war wirklich der Brief dieses Vaters, der mich nachdenklich gemacht hat. Ich habe 1977 gegen das Kontaktsperregesetz gestimmt, aber für den Paragraphen 129a StGB, der dann von der neuen Regierung noch verschärft wurde. Natürlich fragt man sich, wie sich das ausgewirkt hat. Der Paragraph ist beim Punkt „Werbung für eine terroristische Vereinigung“ von der Strafverfolgung in einer Art und Weise ausgeweitet worden, die der Gesetzgeber damals nicht gewollt hat. Ich halte heute eine Revision für unerläßlich. Ich bin als Abgeordneter mitverantwortlich für das, was damals beschlossen wurde. Auch aus diesen Überlegungen heraus kommt jetzt dieser Vorstoß.

Interview: Gerd Rosenkranz