Delmenhorster Amtsleiter ist korrupt

■ Bestechlichkeit des Ordnungsamts-Chefs vor dem Amtsgericht erwiesen / Gastwirt vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen / Stadt geht in Berufung und will dem Gastwirt die Konzession entziehen

Mit einem makellosen Freispruch ging der Delmenhorster Gastwirt Burghard Klettke am späten Mittwochnachmittag aus dem Gerichtssaal. Tief angschwärzt dagegen blieb sein Prozeßgegner zurück, der Leiter des Ordnungsamts, Alfred Kunze. Weil er Kunze der Bestechlichkeit beschuldigt und damit beleidigt hatte, war an acht Tagen gegen Klettke verhandelt worden. Freigesprochen wurde er nun, weil er beweisen konnte, daß Alfred Kunze tatsächlich Geld und andere Vergünstigungen von Gastwirten der Stadt genommen hat.

Zu dieser Überzeugung war auch Staatsanwalt Nils Tumat gekommen. Tumat in seinem Plädoyer wörtlich: „Der Angeklagte hat den Wahrheitsbeweis geführt“. Ein Ermittlungsverfahren gegen Kunze wegen „Vorteilsnahme im Amt“ hält Tumat nun für unausweichlich. Aber nicht nur deswegen müsse der Gastwirt freigesprochen werden, fand Staatsanwalt Tumat, sondern auch weil er den Amtsleiter nicht zuerst öffentlich schlecht gemacht, sondern sich zunächst nur bei dessen Vorgesetztem beschwert habe. Stadtrat Bernd

Müller-Eberstein (CDU) hatte damals prompt reagiert: mit einer Strafanzeige gegen den Gastwirt.

Während der Beweisaufnahme entstand ein Bild von der Delmenhorster Stadtverwaltung, das an Chicago in seiner finstersten Zeit erinnert. „Ich bin der Kunze vom Ordnungsamt, ich zahle nicht“, so zitierten Zeugen den altgedienten Bürokraten. Was er, oft in Begleitung von Kollegen aus dem Amt, unentgeltlich konsumierte, das sollen nicht nur Bier und Kaffee, sondern auch chinesische Menus und Champagner flaschenweise gewesen sein. Von

seinen Besuchen in dem Etablissement „Incognito“ wurde berichtet, daß er die Dienste von Frauen im Separe unentgeltlich in Anspruch genommen habe. Aber auch Barem war er nicht abgeneigt. Gastwirte und Schausteller, die sich Ärger mit den Behörden vom Hals halten wollten, oder die um eine Schankkonzession oder Standgenehmigung verlegen waren, zeigten sich erkenntlich. Sie zahlten und schwiegen, weil sie sich der rabiaten Kleinstadtbürokratie ausgeliefert fühlten. Als Burghard Klettke sich 1985 endlich wehrte, hatte er keinen leichten Stand: „Wir mieten uns eine Truppe und hauen deinen Laden zusammen.“ So lautete die Botschaft, die ein guter Bekannter des Ordnungsamtsleiters ihm überbrachte, verbunden mit der Aufforderung, wieder Ruhe zu geben. Doch Klettke war auf Draht: Er schnitt das Gespräch heimlich mit. Im Gerichtssaal wurde das Tonband abgespielt.

Trotz alledem hält die Delmenhorster Stadtverwaltung dem korrupten Amtsleiter bis heute die Treue. Oberstadtdirektor Willi Schramm selbst trat als Nebenkläger in den Prozeß ein. Staatsanwalt Tumat wollte den Prozeß Anfang März mit einer Einstellung beenden, doch Schramm

schlug Alarm. Mit einer sechsseitigen Dienstaufsichtsbeschwerde wandte er sich an Tumats Oldenburger Vorgesetzte. Ergebnis: Der Staatsanwalt wurde in letzter Minute zurückgepfiffen, der Prozeß ging weiter.

In der vergangenen Woche griffen die Stadtväter dann zu einem probaten Mittel: Sie wollen dem aufmüpfigen Kneipier die Schankkonzession für sein Lokal entziehen. Ausrerechnet das Ornungsamt, dessen Leiter Alfred Kunze ist, forderte den Gastwirt auf, zu einer Reihe von Vorwürfen Stellung zu nehmen. Zum Beispiel: Vor zwei Jahren hatte das Ordnungsamt festgestellt, daß auf der Speisekarte das Konservierungsmittel im handelsüblichen Toastbrot nicht vermerkt ist. Mit dem Prozeß jedoch habe die existenzabschneidende Maßnahme der Stadt nichts zu tun, so Oberstadtdirektor Schramm gestern zur taz. Daß der Freispruch und das Schreiben des Ordnungsamts zusammenträfen, sei „reiner Zufall“.

Ob nun ein Disziplinarverfahren gegen Kunze eingeleitet wird, das will Schramm erst entscheiden, wenn die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen. Aber eins wußte er gestern schon: Die Stadt wird in Berufung gehen.

mw