Jugoslawien wird wieder regiert

■ Jugoslawisches Parlament wählte einstimmig neues Kabinett / Regierungschef Markovic auf marktwirtschaftlichem Kurs / Zulassung einer legalen Opposition nicht erwünscht

Belgrad (taz/dpa) - Nach drei regierungslosen Monaten hat das in Nationalitätenkonflikt und Wirtschaftskrise verhedderte Jugoslawien wieder eine Regierung. Das Parlament in Belgrad wählte gestern einstimmig das vom kroatischen Reformpolitiker Ante Markovic (64) präsentierte Kabinett. Die neue Regierung wurde von 29 auf 19 Mitglieder verkleinert. Lediglich Verteidigungsminister Velko Kadijevic und Außenminister Budimir Loncar konnten ihre Ämter halten. Die restlichen Posten wurden, entgegen einer Ankündigung Markovic‘, er werde nur die profiliertesten Politiker des Landes berufen, von weitgehend unbekannten Fachleuten besetzt.

Erstmals sind die sechs jugoslawischen Teilrepubliken und zwei autonomen Provinzen des Vielvölkerstaats nicht paritätisch im Kabinett vertreten. Das Innenministerium übernimmt der Serbe Peter Gracanin. Hierüber soll es im Vorfeld zu Auseinandersetzungen gekommen sein, da einige Teilrepubliken Bedenken hatten, in der derzeitigen Nationalitätenkrise einen serbischen Politiker zum Innenminister zu wählen.

Der neue Ministerpräsident kündigte in seiner Antrittsrede eine Wirtschaftsreform an, deren Ziel die Schaffung eines freien Marktes „nicht nur für Waren, sondern auch für Arbeit und Kapital“ darstellen soll. Allen Spekulationen um einen neuen Lohn- und Preisstopp erteilte Markovic eine Absage. Er halte an der „Liberalisierung der Preise“, an realen Zinsen und einem, verglichen mit den Hartwährungen, marktgerechten Dinarkurs fest. Die Lage könne nur mit den Mitteln des Marktes verbessert werden. Markovic sagte „soziale Spannungen durch die Freisetzung von Arbeitskräften“ voraus. Die Furcht vor dem Markt, fuhr der Regierungschef fort, sei unbegründet. „Wir müssen Angst haben vor dem, was wir derzeit besitzen.“

Angst scheint die Partei jedoch nicht nur vor dem ineffizienten Wirtschaftssystem zu haben. Anders ist kaum zu erklären, daß die für gestern geplante Konstituierung einer „jugoslawischen demokratischen Initiative“ von den Behörden durch ein Versammlungsverbot verhindert wurde. Den 600 Intellektuellen, die keine Partei, sondern lediglich eine unabhängige Vereinigung gründen wollten, wurde mitgeteilt, die Zulassung einer legalen Opposition sei nicht erwünscht. Ein Mehrparteiensystem und ähnliche Gedankenspiele seien zudem mit der Verfassung nicht vereinbar.

rh/sg