„Politik macht auf die Dauer steril“

■ Ralf Fücks, Sprecher des grünen Bundesvorstandes, über das gespaltene grüne Bewußtsein angesichts der Zukunft / Fortschritt durch Katastrophen? Aussteigen? Wohin?

Die Grünen haben viel Politik mit dem symbolischen Ausdruck „5 vor 12“ gemacht - was erwartest Du für die Jahrtausendwende?

Ralf Fücks: In meinen Kopf existieren ganz verschiedene Zukunftserwartungen nebeneinander, die gar nicht auf einen Nenner zu bringen sind. Für die apokalyptischen Zukunftsvorstellungen gibt es ja viele wissenschaftliche Indizien. Die sind nicht, wie in den zwanziger Jahren, aus einem Kulturpessimismus gespeist - „Untergang des Abendlandes“ - sondern aus naturwissenschaftlichen Prognosen von zerstörerischen Entwicklungen. Das kontinuierliche Aushöhlen von Ökosystemen, das sich irgendwann verdichten wird in katastrophalen Zusammenbrüchen - Trinkwasser in Flaschen kaufen zu müssen, die bedrohliche Zunahme von Atemwegserkrankungen und auch von Allergien, immer mit einem Seitenblick auf die Welt, in die die Kinder reinwachsen das ist für mich ein politisches Motiv, aber nichts, was meine Zukunftserwartung wirklich prägt. Sonst wäre ich gezwungen, auch in meiner Lebenspraxis viel radikalere Konsequenzen zu ziehen - auszusteigen aus dem Alltag, der selber Bestandteil dieser Vernichtungsmaschinerie ist, wie Bahro das sagt. Du weist ja auch gar nicht wohin...

Wird sich nicht das Lebensgefühl der Menschen Sprung in der Jahrtausend-Zahl ändern?

Fücks: Da bin ich sehr skeptisch. Man kann jetzt schon beobachten, daß sich die Menschen sehr gut in dem gespaltenen Bewußtsein einrichten können. Solche Endzeit -Gefühle drücken sich aus im Zynismus einer Jetzt-erst-recht -Mentalität. Was mir mehr Angst macht, ist eine Tendenz in der Gesellschaft, technische Lösungen zu suchen, die das Risiko-Potential aber vergrößern.

Der Problemdruck wird in den nächsten Jahren aber so groß, daß ich grüne Gesellschaftsentwürfe für mehrheitsfähig und realistisch halte, nicht im Großen und Ganzen, aber im Hinblick auf sehr viel konkretere Themen und Utopien. Zum Beispiel in der Stadtentwicklung, die Kritik am Autosystem, seinen sozialen und ökologischen Konsequenzen. Im Hinblick auf die harten technischen Machtstrukturen werden Korrekturen nur über Katastrophen stattfinden. Wenn Tschernobyl bei uns stattfindet...

Ohne solche Katastrophen geht's nicht voran?

Fücks: Das hängt davon ab, wieweit die zentralen Lebensgewohnheiten und Machtinteressen der Gesellschaft berührt sind. Je näher das ins industrielle Zentrum kommt, wo auch die Arbeitsplatz-, Einkommens-und Konsuminteressen eines Großteils dieser Gesellschaft in Frage stehen, sind wirkliche Brüche nur über Katastrophen denkbar. Das beinhaltet die Gefahr autoritärer politischer Lösungen. Diese Gesellschaft ist so empfindlich in ihrem Lebenszusammenhang, daß Katastrophen dazu tendieren, zu Notstandsregierungen zu führen.

Was würdest Du in zehn Jahren gerne machen? Beruf: Politiker?

Fücks: Vielleicht in zehn Jahren wieder. Weil ich glaube, unter meinen verschiedenen Begabungen und Fähigkeiten ist das wohl die größte. Aber sicherlich nicht kontinuierlich die nächsten zehn Jahre und nicht die folgenden...

Du wärst der erste, der einfach aufhören könnte und dann wieder einsteigen. Eigentlich kann diese Sorte von Leuten nie aufhören..

Fücks: ..das macht sie auf die

Dauer auch steril. Berufspolitik bedeutet einen sehr großen Verschleiß von Kreativität und von Emotionalität. Es ist notwendig, immer wieder diesen Akku zu erneuern durch andere Erfahrungen und Lebensweisen. Das stellt sich auf der Ebene eines Stadtstaates weniger dramatisch, weil Du da Privates und Politisches besser vereinbaren kannst als wenn Du in die Bundespolitik einsteigst.

Und Bundessprecher der Grünen bist Du jetzt geworden, um Deinen Akku richtig zu verschleißen. Warum ist das lohnenswert?

Fücks: Es ist immer kokett, zu sagen, man hätte sich nicht danach gedrängt. Aber für mich war das eine Entscheidungssituation, in der ich mich allen politischen Argumenten nur schwer unter Verweis auf persönliche entziehen konnte - weil es dabei natürlich auch ein Moment von persönlicher Herausforderung gibt: aus dieser Mischung von Intimität und Enge, die Bremer Politik bedeutet, herauszugehen und sich der Bundespolitik auszusetzen. Das ist die alte Geschichte: Du versuchst immer wieder, Deine Grenzen zu erproben und sie

gleichzeitig herauszuschieben. Also genau das, woran die Welt zugrunde gehen wird (lacht). Der Expansionismus, die Lust und der Zwang zum Grenzüberschreiten - vielleicht ist das der härteste Kern der Patriarchatskritik. Nicht, daß Du Deine Kinder im Stich läßt, und die Privilegien für Dich monopolisierst - das werde ich auch nicht tun - aber daß dieser Reiz, sich neue Aufgaben zu erobern, immer größer ist als die Bereitschaft, einfach zu leben in dem, was du bist und was du hast. Ohne ein solches Motiv hätte ich sicherlich nicht für den Bundesvorstand kandidiert.

Und rationale Motive?

Fücks: ... und gute Gründe gerade jetzt. Die Grünen sind selber in einer Umbruchsituation. Die Möglichkeit, mitzugestalten, was die Grünen in den 90er Jahren sein werden, ist sehr viel größer als in den letzten Jahren, als die Partei doch sehr festgefahren war in den inneren Fronten. Die beginnen sich jetzt aufzulösen, ich gehöre zu einer kleinen Gruppen von Leuten, die diesen Prozeß angestoßen haben.

Bonn liegt auf der Strecke zwi

schen Berlin und Frankfurt. Ist diese rotgrüne Modell für Dich eine mögliche Zukunft für die grüne Bewegung? Hat Dich das motiviert, jetzt für den Bundesvorstand zu kandieren?

Fücks: Natürlich habe ich die Hoffnung, daß sich das Parteiensystem so öffnet, daß die Grünen aus dem Abseits, in das sie nach dem Bruch in Hessen und dem Debakel in Hamburg geraten sind, wieder herausfinden und in die politische Mehrheitsbildung wieder eingreifen können. Gleichzeitig hat sich die Koalitionsfrage relativiert. In Berlin wird deutlich, daß für weitreichende Veränderungen der gesellschaftliche Boden nicht reif ist.

Du wirst also 1990 auf eine kreative Erholungsphase vorbereiten und Dich nicht von der neuen Herausforderung verführen lassen, im Bundestag eventuell auch an einer neuen Mehrheit in Bonn mitzuarbeiten?

Fücks: Ich werde nicht 1991 für den Bundestag kandidieren.

Wo wirst Du deine krative Phase erleben?

Fücks: Ich habe wie fast alle in un

serem Milieu, in unserer Generation, die Vorstellung, einmal in einen ganz anderen Kulturkreis zu gehen ...

... Indien?

Fücks: Nein, nicht auf den Spuren von Baghwan, das wäre eher Afrika, um mich einem anderen Lebensgefühl, einer anderen Erfahrung von Zeit, einer anderen gesellschaftlichen Realität auszusetzen. Ich habe das Bedürfnis nach mehr Zeit für Personen, die mir wichtig sind, nach mehr Muße, um die eigenen Seiten, die im politischen Alltag eher verkümmern, stärker zu entwickeln, nach Kultur, Literatur.

Weiter gesponnen: Nach den Jahren der Erneuerung und des Kräftesammelns - auf welcher Ebene würdest Du am liebsten dann wieder einsteigen?

Fücks: Als Bremer Senator oder als taz-Redakteur. (gemeinsames Lachen) - wenn mich diese Bundesebene nicht ganz in ihren Sog zieht. Das ist nicht pure Ironie. Diese Stadtstaat-Öffentlichkeit ist eine spannende Politikform, weil sie ein Stück über das Kleinkarierte von bloßer Kommunalpolitik hinausgeht, gleichzeitig aber nicht dieser extremen Entfremdung und Abstraktion von Bundespolitik unterliegt, weil sie dennoch eine soziale Existenz ermöglicht. Ich will mich nicht von Arbeit und Leben hier in Bremen verabschieden, sondern eher Ausflüge machen.

Und Journalismus hat viele Verwandschaften mit Politik, es im Grunde ist eine Form von Politik. Sie unterliegt größeren wirtschaftlichen Zwängen, aber gleichzeitg eine größere Unabhängigkeit ermöglicht.

Wieso nicht zum Fernsehen? Im dritten Jahrtausend ist doch Zeitung ein sterbendes Gewerbe!

Fücks: Das glaube ich nicht. Für die klugen Leute wird die Zeitung nach wie vor die geistige Hauptnahrungsquelle sein. Was sich bei den audivisuellen Medien abspielt, das erfüllt mich eher mit Grausen. Das ist mein persönlicher Konservatismus. Mein Medium ist das Wort, schreiben und reden.

Fragen: K.W.