KONTAKT AUS DER STECKDOSE

■ Aus dem Leben des Nachrichtentechnikstudenten A.

Die meisten Menschen studieren das, was ihnen fehlt: Die Egoisten brauchen Sozialpädagogik, die Neurotiker Psychologie. Folglich widmen sich Vereinsamte der Nachrichtentechnik zu. Wer nicht nur Kommunikation, sondern auch inneren und äußeren Halt sucht, wendet sich der Fachhochschule der Deutschen Bundespost zu, denn hier wird der „Aufstieg in einem krisenfesten, erfolgreichen Unternehmen“ (Zitat aus Studienführer NT) angeboten.

Das krisenfeste Unternehmen hat nicht nur die Reichspost überstanden, sondern auch seinen Sitz im landschaftlich schönen Tempelhof, leicht über die Schnellbahntrassen zu erreichen und in guter Nachbarschaft mit heimischen Wirtschaftszweigen. Kommt der lebenshungrige Student A. in die Telefonstadt, so wird er freundlich eingeladen von einem dunkelbraunen zinnenbewehrten Backsteinbau. Am Pförtner vorbei betritt er eine malerische Halle, mit türkisen Kacheln hygienisch ausgekleidet. Vier Stockwerke sind durch Galerien gut mit der Halle verschaltet. Ein paar Telefone in einem Glaskasten ersetzen die in Ämtern üblichen überlebenserprobten Gummipflanzenkübel. Fernmeldeamt und Fachhochschule teilen sich brüderlich die Stockwerke.

Kein Wunder, daß sich der Student, der aus einem wohlgeordneten Elternhaus kommt, sofort wohlfühlt. In sechs Semestern darf er nun aufsteigen: optische Nachrichtentechnik, digitale Elektronik, Hochfrequenztechnik usw. usw. Ein Glück, daß A. von früher Jugend an Bügeleisen, Fernseher und Motorsägen auseinandergenommen und miteinander verschaltet hat, statt wie seine Mitschüler sich in Kinos, auf Fußballfeldern oder in Konzerten herumzutreiben. Das kommt ihm jetzt zugute. Die Lehrer erkennen in ihm den Crack und sprechen in seiner Sprache. Beim vertraulichen Gespräch über Wobbelmessungen kommt man sich näher, schäkert über „Selektionsmessungen“ für Mitschüler, die aus einem überbelegten Kurs rausgefallen sind und nun noch ein Jahr länger studieren müssen, lacht über den witzigen Dozenten: „Die sollte man mal demodulieren.“

„Die“ stehen alle am hauseigenen Kommunikationszentrum, dem Kopierer. Der Studentenverein hat sich zur Aufgabe gemacht, den Kommunikationskatalysator instandzuhalten. Hier kommt man leicht in ein Gespräch mit Gleichgesinnten, während die alten Klausuren vor- und rückwärts und individuell prozentual durchlaufen und in hohen Auflagen aus dem Kopierwunderautomaten herauskommen. Aber die Bundespost sorgt auch sonst für den großen und kleinen Hunger, sich mit KommilitonInnen zu verkabeln: Es gibt Duschen und einen Proberaum. Wenn allerdings demnächst das neue millionenschwere ISDN-Labor eingebaut wird, werden alle ein bißchen zusammenrücken müssen. Und zu den -Innen ist wenig zu sagen. Einmal, erinnert sich A., gab es in der Klasse 2 Studentinnen, die waren aber schnell vergriffen oder gingen ab, weil die Dozenten auch nichts von ihnen hatten.

Aber A. hat sowieso dafür keine Zeit, denn das Studium geht vor, besonders nach den Ausfällen im Streik. A. widmet sich im ersten Semester seinem Lieblingsthema: die Kommunikation. Zwei Stunden pro Woche lernt er selbständiges Arbeiten, Kommunikation als Erlebnis, Kommunikation als Fähigkeit, Kommunikationsfelder, -formen und -regeln. Im vierten Semester findet er die „Bedeutung des individuellen und kollektiven Verhaltens im Entscheidungsprozeß in Art und Wirkzusammenhang“ heraus. Abends bastelt er lieber wieder für sich selbst und lernt den Stoff für die nächste Woche voraus.

Die Bundespost tut alles, ihn auch kulturell weiterzubringen. Theater- und Konzertkarten bekommt er zum Teil ersetzt, aber die abgegebenen Karten entsprechen nur einem geringen Teil der aktiven Studentenschaft. A. muß sich jetzt um seinen Abschluß kümmern. Wenn er sich für achteinhalb Jahre bei der Bundespost verpflichtet, kriegt er das Studium ohne Rückzahlung fast geschenkt. Verpflichten kennt er schon von der Bundeswehr, das ist einschätzbar. Andererseits hätte er auch vielleicht gute Chancen beim Fernmeldezentrum ein Stock tiefer. Die nehmen fertige Diplomingenieure, wenn sie deutsch, gesund oder schwerbehindert sind. A. weiß, daß es jetzt darauf ankommt, das digitale Zeitalter nicht zu verpassen. Privatisierung hat er von klein auf gelernt, jetzt muß man kompatibel sein. Knapp gescheitelt, mit spiraliger Mikrowelle und allzeit abrufbarem Zählwerk, die Butterstulle im schmissigen Aktenkoffer, weiht sich A. einer kommunikativen multifunktionalen Zukunft.

DoRoh